19
sich als Hörerkreis für solche Sprüche vor allem die Jugend dachte,
die Jugend, die innerhalb der Gemeinde der Frommen heranwuchs,
und die daher über Opfer, Feste und Abgaben nicht mehr besonders
unterrichtet, zu werden brauchte. Es kann keine Rede davon sein,
daß die Priester die alten Forderungen etwa ganz aufgegeben hätten;
die beiden großen Gesetzbücher, die den Hauptteil der Fünf Bücher Mose
bilden und die jünger sind als diese Spruchreihen, werden uns bald das
Gegenteil zeigen. Aber es ist eben nicht so sehr der Kampf nach außen
als die Ausbildung der Gemüter im Innern der Gemeinde, was diese
Sprnchreihen bezwecken. So kommt es von selbst, daß das Moralische
und Soziale in ihnen das Kultische weit überwiegt.
An sich sind solche Gemeindesprüche natürlich ganz zeitlose Gebilde:
sie werden Jahrhunderte hindurch weitergetragen wie der Katechismus
in den heutigen Schulen. So ist es schwer möglich, für den
einzelnen eine bestimmte Entstehungszeit zu nennen. Im ganzen aber
darf man sagen, daß diese Gemeindebildung erst auf judäischem Boden
vor sich gegangen ist, nachdem Israel von den Assyrern als Staat ver-
nichtet worden war, was im Jahre 722 vor Christus geschehen ist.
Andererseits setzen wenigstens die genannten Spruchreihen die späteren
Gesetzbücher und die babylonische Gefangenschaft der Judäer noch nicht
voraus, sind also vor 623 geschrieben. Innerhalb des Jahrhunderts von
720 bis 620 aber können wir für sie keine nähere Datierung treffen.
Immerhin dürfen wir sagen, daß sie etwa ein Jahrhundert jünger sein
werden als die Gesetze des Elohisten.
Die genannten Spruchreihen sind Wohl rein zufällig erhalten ge
blieben; wahrscheinlich haben Dutzende ähnlicher Art existiert, von denen
nicht eine Silbe auf uns gekommen ist. Denn die Produktion solcher
„Gesetze" hat ja in sich kein Maß und Ziel und kann ins Unendliche
fortgesetzt werden. Einmal aber müssen die maßgebenden Kreise der
Gemeinde sich zusammengesetzt und einer solchen Spruchsammlung die
oberste und abschließende Autorität zuerkannt haben. Sonst wäre es
nicht zu verstehen, daß aus diesen Kreisen eine Formulierrmg erhalten
ist, die möglichst alles zu umfassen suchte, was man an solchen Spruch
reihen hatte, und die von nun an unbestritten, und ohne durch neue
Ausarbeitungen verdrängt zu werden, den Ehrenplatz unter allen
„mosaischen" Gesetzen behauptet hat: das ist der offizielle und endgültige
Text der Zehn Gebote, wie wir ihn heute noch aus Katechismus und
Biblischer Geschichte kennen.
Der endgültige Text der Zehn Gebote.
Der Text der Zehn Gebote ist an zwei Stellen überliefert: in eineni
Einsatz im Buch des Elohisten (2. Mose 20) und in der Einleitung des
Fünften Buches Mose (5. Mose 5). Beide Textformen stimmen nicht
ganz überein; es erweist sich aber fast überall der Text des elohistischen
Buches als der ältere, den wir unserer Darstellung daher zugrunde
legen. An beiden Stellen wird diese Spruchreihe Jahwe selbst in den
Mund gelegt. Es ist die große Selbstenthüllung Jahwes, in der er
seinen Namen nennt und im Anschluß daran sein Grundgesetz gibt! Im
Fünften Buch Mose wird dabei ausdrücklich versichert, daß Jahwe nur
diese und keine anderen Worte zum Volke geredet habe: die Einzigartig
keit und Erhabenheit dieses Textes soll also so eindringlich wie nur
möglich bezeichnet werden!