Full text: Das sogenannte Gesetz des Mose (5)

ist der Trieb des großen Herrn, durch Austreibung der Kleinbauern 
seinen Besitz zu vergrößern! 
Schließlich hat auch das Wort vom Töten wenigstens seine soziale 
Nebenbedeutung. Natürlich ist dabei zunächst an jeden Mord überhaupt 
gedacht; auf vorsätzlichen Mord stand ja auch nach den „Nechtssatzungen" 
die Todesstrafe. Aber dasselbe Wort, das hier für Töten oder Um 
bringen steht, wird in den Gerichtssprüchen von demjenigen gebraucht, 
der als lügnerischer Zeuge vor Gericht den Unschuldigen zum Tode ver 
urteilt werden läßt; und auch in den Lernsprüchen heißt es ebenfalls 
vom Zeugen, daß er dem Angeklagten nicht nach dem Leben trachten 
soll (I, 3). Da unser Wort: du sollst nicht töten! ans denselben Kreisen 
stammt, ist es wohl erlaubt, es ähnlich zu deuten. 
So stellt sich denn diese Form der Zehn Gebote als eine Zusammen- 
fassnng alles dessen dar, was man in Lewitenprogrammen, Gerichts 
sprüchen, Lernsprüchen und Prophetenreden besaß. Es ist die kurze 
Grundformel, auf die die „Gemeinde" ihre Lebensregeln gebracht hat, 
gewissermaßen das „Bekenntnis" der Gemeinde, durch dessen Pro 
pagierung sie sich von den anderen Israeliten schied. Und es ist von 
Anfang an auch zum Jugendunterricht und zum Auswendiglernen be 
stimmt gewesen, wie einerseits das vierte Gebot, die Ehrerbietung vor 
den Eltern, zeigt, andererseits die ganze Art der gesucht knappen Zu 
sammenfassung langer Gedankenreihen in wenigen Worten. Insofern 
hat die christliche Kirche den Sinn dieser Formel nicht übel getroffen, als 
sie gerade sie ans dem ganzen Komplex der Fünf Bücher Mose heraus 
griff und zur Grundlage des Jugendunterrichtes gemacht hat. 
Freilich soll damit nicht gesagt sein, daß mehr als zwei und 
ein halbes Jahrtausend nach ihrer Entstehung diese Formel noch immer 
geeignet sein könnte, Grundlage des Unterrichtes und der Charakter 
bildung auch für die heutige Jugend zu bleiben. Die Lebensrdeale der 
Gegenwart sind schließlich doch andere geworden, als wie jene lcwitische 
Gemeinde etwa um 670 vor Christus sie hatte. Gerade je treuer man 
den geschichtlichen Sinn der Zehn Gebote zu erfassen versucht, um so 
ungeheuerlicher erscheint die Vorstellung, daß noch heute Hunderttausende 
von Kindern in jedem Jahre neu nach diesem Texte unterrichtet werden.
	        
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