ist der Trieb des großen Herrn, durch Austreibung der Kleinbauern
seinen Besitz zu vergrößern!
Schließlich hat auch das Wort vom Töten wenigstens seine soziale
Nebenbedeutung. Natürlich ist dabei zunächst an jeden Mord überhaupt
gedacht; auf vorsätzlichen Mord stand ja auch nach den „Nechtssatzungen"
die Todesstrafe. Aber dasselbe Wort, das hier für Töten oder Um
bringen steht, wird in den Gerichtssprüchen von demjenigen gebraucht,
der als lügnerischer Zeuge vor Gericht den Unschuldigen zum Tode ver
urteilt werden läßt; und auch in den Lernsprüchen heißt es ebenfalls
vom Zeugen, daß er dem Angeklagten nicht nach dem Leben trachten
soll (I, 3). Da unser Wort: du sollst nicht töten! ans denselben Kreisen
stammt, ist es wohl erlaubt, es ähnlich zu deuten.
So stellt sich denn diese Form der Zehn Gebote als eine Zusammen-
fassnng alles dessen dar, was man in Lewitenprogrammen, Gerichts
sprüchen, Lernsprüchen und Prophetenreden besaß. Es ist die kurze
Grundformel, auf die die „Gemeinde" ihre Lebensregeln gebracht hat,
gewissermaßen das „Bekenntnis" der Gemeinde, durch dessen Pro
pagierung sie sich von den anderen Israeliten schied. Und es ist von
Anfang an auch zum Jugendunterricht und zum Auswendiglernen be
stimmt gewesen, wie einerseits das vierte Gebot, die Ehrerbietung vor
den Eltern, zeigt, andererseits die ganze Art der gesucht knappen Zu
sammenfassung langer Gedankenreihen in wenigen Worten. Insofern
hat die christliche Kirche den Sinn dieser Formel nicht übel getroffen, als
sie gerade sie ans dem ganzen Komplex der Fünf Bücher Mose heraus
griff und zur Grundlage des Jugendunterrichtes gemacht hat.
Freilich soll damit nicht gesagt sein, daß mehr als zwei und
ein halbes Jahrtausend nach ihrer Entstehung diese Formel noch immer
geeignet sein könnte, Grundlage des Unterrichtes und der Charakter
bildung auch für die heutige Jugend zu bleiben. Die Lebensrdeale der
Gegenwart sind schließlich doch andere geworden, als wie jene lcwitische
Gemeinde etwa um 670 vor Christus sie hatte. Gerade je treuer man
den geschichtlichen Sinn der Zehn Gebote zu erfassen versucht, um so
ungeheuerlicher erscheint die Vorstellung, daß noch heute Hunderttausende
von Kindern in jedem Jahre neu nach diesem Texte unterrichtet werden.