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fühle zu gründen. Hier aber sollen gerade nrälteste Gefühle, >vie die,
die an die Vorstellung von der Heiligen Statte gebunden waren, zer
stört und ausgerottet werden, soweit sie nicht dem Tempel von Jeru
salem dienten.
Tie so Unermeßliches wagten, können nur am Tempel von Jeru
salem selbst ihren Sitz gehabt haben. Die Jerusalemer Priester waren es,,
die in diesem Gesetzbuch einen Vorstoß zugunsten ihres Heiligtums
inachten.
Die lewitischen Programme, die wir bis jetzt kennen gelernt
haben, hatten den Zweck, dep Kultus an den großen Jahwe-Tenrpeln
zu reformieren. Es waren im Grunde reaktionäre Gedanken, Forde
rungen einer Zuriickschraubung des Kultus ans einen altvaterischen
Zustand, der im Kulturleben des Volkes nun doch einmal endgültig,
überwunden war. Dieses Gesetzbuch aber will ietwas ganz Neues
schaffen, etwas, was bisher noch selten in der Religionsgeschichte einer
Volksgemeinschaft geschehen 'war: es will, daß das Volk selbst seine
alten Heiligtümer zerstöre, um nur das jüngste gedeihen zu lassen. Die
Leimten waren Priestersippen gewesen, die sich durch die Entwickelung
zurückgedrängt und überholt sahen. Diese Jerusalemer Verfasser des
neuen Gesetzbuches aber waren Männer, die schon bisher am größten
Heiligtums des Landes standen, und die nun einen Vorstoß versuchten,
alle Priestergewalt überhaupt in ihren Händen zu konzentrieren.
Neben den lewitischen Priestern und der proletarischen Bewegung
lersnen wir somit hier in den Priestern des königlichen Tempels von
Jerusalem die dritte Gruppe kennen, die an der Reform der altisraeli
tischen Religion beteiligt war. Wir werden sehen, daß erst durch ihr
Eintreten in die Bewegung die Reform selber zum Siege kam.
Die Konzentration des Kultus.
Wenn der Tempel in Jerusalem das einzige Heiligtum bleiben
sollte, an dem man wirklich Jahwe verehren durste, so hatte das für
das wirkliche Leben des Volkes die Bedeutung, daß es vom alltäglichen
oder wenigstens häufigeren Besuch des Heiligtums entbunden werden
mußte. Denn wenn auch der Staat Juda nur ein kleines Gebiet um
faßte (etwa 4000 Quadratkilometer, also etwa ebensoviel lute das heutige
Herzogtum Braunschweig oder Sachsen-Weimar, nur daß sein Gebiet
abgerundet zusammenlag), so konnte man die Bewohner der etwa
vierzig anderen städte und aller Dörfer und Einzelgehöfte doch nicht
gut zwingen, auch nur wöchentlich einmal den Weg zur Hauptstadt zu
machen. So gab denn das Gesetz gleich eingangs in seinem grund
legenden Teile ausdrücklich das Schlachten von Tieren frei. Die alt-
israelitische Sitte hatte erfordert, daß niemals ein Tier geschlachtet
werde, es habe denn zuvor Jahwe-sein Teil davon erhalten: wir habet!
früher gesehen, daß auch hier Vorstellungen nachwirkten, die ans der
uralten Zeit des Seelenglaubens stammten. Jetzt wurde bestimmt,
daß itian Fleisch „nach Herzenslust" essen dürfe, auch ohne zu opfern.
„Nur halte daran fest, daß du das Blut nicht gentesjest; denn das
Blut ist die Seele des Tieres; und du darfst die seele nicht mit dein
Fleische essen. Genieße es nicht; gieße es auf die Erde, wie Wasser"
(12, 23, 24). In diesem Verbot des Blutgennsses allein blieb die alte
Vorstellung in Zukunft lebendig, die einst zur Entstehung der Tier
opfer überhaupt geführt hatte. In dieser Gesetzesbestimmung ist der
Ursprung der jüdischen Sitte des Schächtens zu suchen.