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Mit diesen Worten hat jedenfalls ursprünglich das Gesetzbuch ge-
schlossen. Es ist ein großer Appell an den Zuhörerkreis, sich heute noch,
noch in letzter Stunde, für Jahwe und sein Gesetz zu entscheiden.
Bemerkenswert an dieser Schlußrede ist, wie auch setzt noch Segen
und Fluch Jahwes realistisch und irdisch verstanden werden. Segen
heißt volle Scheuern, volle Schüsseln, genügender Regen, weites Gebiet,
mächtige Stellung' Fluch heißt Verdorrung und Verarmung. Noch
ist auch für diefe Priester „Seligkeit" oder „Segen" Jahwes nichts
anderes als ein glückliches, auskömmliches Leben, als Reichtum, Gesund
heit und Macht. Die Religion ist noch nicht zu der Umkehrung aller
natürlichen Instinkte gekommen, daß sie Armut und Leid als besondere
Gnade preist. Die Armut erscheint noch als Fluch, als Jahwes Strafe
dafür, daß das Volk so lange Jahwes Gesetzbuch vergessen habe.
Mit diesem Gedanken mündet der Schluß wieder bei dem, was
schon die Einleitung dargelegt hatte. Und noch deutlicher, als dort,
zeigt sich hier, daß der Fluch Jahwes die Wirklichkeit war, in der die
Menschen tatsächlich lebten. Nicht nur, daß die Fluchworte erheblich
viel umfangreicher sind als die Sprüche des Segens; es wird bei
ihnen auch ausdrücklich gesagt, daß sie über das Volk kommen, weil
es die Gebote Jahwes mißachtet h a t. Im Munde Moses dürfte es
doch höchstens heißen: w c n n es diese Gebote mißachten w i r d. Der
Verfasser fällt aber zum Schluß aus der Rolle; hingerissen durch das
Feuer seiner Rede, spricht er auf einmal doch als Zeitgenosse zu seinen
Zeitgenossen, nicht mehr als Mose zu der ersten oder zweiten Generation
in der Wüste.
Und damit enthüllt sich zuletzt noch in drastischer Weise, was wir
ja schon jedem Satze dieses merkwürdigen „Gesetzbuches" anfühlen
konnten: cs ist kein Gesetzbuch im eigentlichen Sinne des Wortes, wie
wir sie bei anderen Völkern finden; es ist eine Predigt, in die gesetz
liche Bestimmungen hineingestellt sind. Es ist eine große Anklage- und
Mahnrede an die Zeitgenossen, von vornherein dazu bestimmt, in einem
feierlichen Augenblick vor einer großen Versammlung vorgelesen zn
werden. In dem feierlichen Heute, in dem sie mündet, weist sie nicht
nur auf den Tag zurück, an dem sie einst von Mose gehalten worden
sein wollte, sondern auch auf einen Tag voraus, an dem sie in Wirk
lichkeit allem Volke vorgelegt werden sollte. Die älteren lewitischen
Programme waren zunächst nichts anderes als literarische Dokumente
gewesen, Einfügungen oder Nachdichtungen nach Art jenes ältesten
Geschichtsbuches des Jahwisten. Sie wollten in langsamer Wirkung
der Propaganda der Lewitem eine Stütze verleihen. Dieses „Gesetzbuch
des Mose" aber war bcm Anfang an zur feierlichen Verlesung in einem
bestimmten Moment geschrieben. . Es diente der Aktion und nicht der
allgemeinen grundsätzlichen Propaganda.
Und so ist es denn auch durch den Sturm eines Tages zum
Grundgesetz des jndäischen Kultus geworden!
Wir haben noch den anschaulichen Bericht eines Augenzeugen, der
von diesem großen Tage berichtet.
Die Durchführung des Gesetzes im Jahre 623 vor Christus.
„Im achtzehnten Jahre des Königs Joschijahu (623 vor Christus)
aber sandte der König den Staatssekretär Schafan, den Sohn Asaljas,
des Sohnes Mefchullams, in den Tempel Jahwes, mit dem Befehl:
Gehe hinauf zum Oberpriester Hilkijahu, daß er das Geld ausschütte.