Full text: Das sogenannte Gesetz des Mose (5)

Die Wirkungen der Reform. 
Es war die erste große Revolution, die die israelitisch-judäische 
Geschichte erlebt hat, seit diese Völker zum Ackerbau übergegangen 
waren. Zum ersten Male wurde mit vollem Bewußtsein und gründlich 
mit der Vergangenheit des eigenen Volkes gebrochen. Schändung und 
Verunreinigung alter Heiligtümer sind an sich nicht ohne Beispiel in 
der Religionsgeschichte: die Erzählung von der Wotanseiche, die Boni- 
fatins, der Apostel der Deutschen, gefällt haben soll, mag als das viel 
leicht bekannteste Beispiel gelten. Aber säst immer handelte es sich dabei 
um eine andere Religion, die von einem siegreichen Volke dem unter 
worfenen mit Gewalt übermittelt ward. Hier aber ist es dasselbe Volk, 
das durch eigenen Entschluß seine alte Religion verwirft und, wenn 
auch nicht einen neuen Gott, so doch eine neue Art und Weise der Ver 
ehrung dieses Gottes.übernimmt. Die Beispiele fair solche Revolutionen 
sind immerhin selten in der Religionsgeschichte. 
Daß die Jerusalemer Priester eine solche Revolution versuchten, 
ist leicht zu begreifen: sie diente ja ihrer Nahrung und ihrer Macht! 
Daß aber König und Volk in dem erschütternden Entschluß eines einzigen 
Tages sich diesem Vorstoß der Priester unterwarfen, ist nur zu verstehen, 
wenn man die Stimmung sinnloser Angst sich vergegenwärtigt, in der 
die herrschenden Klassen in diesen Jahren gelebt haben müssen. Es war 
ein letztes Mittel, ein letzter Strohhalm, nach dem inan griff, um die 
Selbständigkeit des Staates gegenüber den großen Weltreichen zu retten. 
Seit Menschenaltern schon hatte man sich gequält, Mittel und Wege 
zur selbsterhaltung zu finden. Man war mit den Aegyptern gegen 
die Assyrer und mit den Assyrern gegen die Aegypter gegangen; man 
hatte fremde Götter aus der Ferne herangeholt, um durch ihre Gunst 
das Leben zu erhalten. Immer hatte man nur wieder Tribut über 
Tribut zu zahlen gehabt. Und zuletzt war ein Schwarm wilder Volks- 
stämme aus dem Norden hereingebrochen, Skythen, die schon ganz Klein 
asien durchstürmt hatten: man glaubte, das Ende sei nunmehr ge- 
kommen. Noch einmal hatte man Luft bekommen: die wilden Gäste 
hatten das Land abgefressen wie Heuschrecken, wie Jeremia sagt, dann 
waren sie weitergezogen. Aber die 9tot im Lande selbst war auf das 
höchste gestiegen: wie sollte man einem neuen Feinde begegnen, wo man 
im Innern eine Bevölkerung hatte, deren soziale Nöte in tauten Worten 
der Empörung sich Luft machte? Vielleicht, daß Jahwes Zorn durch 
das Gesetzbuch sich wenden ließ! Die wahnsiniiige Angst vor der 
drohenden Katastrophe bahnte der Priesterherrschaft den Weg. 
Vielleicht hatten die Jerusalemer Priester ans einen so raschen 
Sieg gar nicht gerechnet. Sie hatten sich, wie ihr Gesetzbuch zeigt, die 
Lewiten und die Proletarier zu Bundesgenossen gewonnen; vielleicht 
hatten sie gedacht, ihre Hilfe in einem wirklichen Kampfe brauchen zu 
müssen. Da aber der König und die Minister selbst ans ihre Seite 
traten, brauchten sie die alten Bundesgenossen nicht mehr. Daß sie 
die Lewiten in Jerusalem nicht zum Priestertum zuließen, ward schon 
erwählst. Von hier ab beginnt die Degradierung der Lewiten; im 
späteren Judentum sind subalterne Tempeldicner aus ihnen ge- 
lvorden. Aber auch die Proletarier kamen nicht zu ihrem Rechte. 
Der Prophet Jeremia hat in seinen Schriften die Notiz 
erhalten, daß bis hinter 590 vor Christus nicht ein einziges 
Mal die Befreiung der Sklaven im siebenten Jahr ihrer 
Knechtschaft verwirklicht wurde. Und mit dem großen Erlaßjahr
	        
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