4(3
Opfern der Priester erblickt. Jedes Fest wird auf einen bestimmten
-Kalendertag festgelegt, von der Ernte also völlig getrennt; ebenso wird
für jedes Fest genau bestimmt, wie groß das Festopfer sein soll. Bei
den alten Festen hatte jeder Israelit entsprechend dem Ertrage seiner
Arbeit gebracht, wozu dos Herz ihn drängte.
In diesem Gesetzbuch des Esra ist also Tempeldienst und Priester
tum das einzige, wovon geredet wird. Die bürgerlichen Verhältnisse
der Gemeinde werden überhaupt nicht berücksichtigt; von Krieg und
Königtum, von der Verfassung und den Rechtsverhältnissen des täg
lichen Lebens ist nicht mehr die Rede. Wir sahen, wie stark diese
Dinge noch im Reformgesetze von 623 hervortraten. Jetzt aber gibt es
keinen nationalen Staat, der Kriege führen und Rechtsfragen ent
scheiden könnte. Kriege gibt es nicht mehr, seitdem die Perserherrschast
dem Orient die Ruhe des Weltreiches gegeben hat; und das bürgerliche
Recht ist zum großen Teile durch persische Gesetze geregelt. Nur von
diesem Hintergrund der persischen Weltmonarchie ans ist das Gesetzbuch
der Priesterschrift überhaupt zu verstehen.
Die treibenden Kräfte.
Wir hohen immer wieder gesehen, daß erst die Priesterschrift die
wirkliche Ausprägung der eigentlich jüdischen Religion enthält. Hier
blicken wir nun zum ersten Male näher in die Einzelheiten hinein, in
denen in und nach der babylonischeil Gefangenschaft das eigentliche
Judentum sich entwickelt hat. Die Priesterschrift ist in Babylonien
geschrieben worden von einem jüdischen Priester, der am Hofe des
Perserkönigs Zutritt inld Unterstützung für seine Zwecke faild. Das
„Gesetz", das sie proklamierte, ist den Jerusalemer Juden zwangsweise
von außen auferlegt worden; es ist nicht organisch aus dem Leben der
Jerusalemer selber erwachsen. Wie wir später iloch genauer sehen
werden, hat Esra selbst nicht die Kraft besessen, ihn: Anerkennung zu
verschaffeil. Erst als 13 Jahre nach seinem ersteil Zug der Laie Nehemia,
Jude und Mundschenk des Perserköiitgs, mit besonderer Vollmacht ilach
Jerusalem kam, konnten die Gegner völlig entwaffnet werden. Nur
die Autorität des Königs hat es schließlich ziir Herrschaft gebracht, wie
es denn auch schon in jener Urkunde „das Gesetzbuch deines Gottes lind
des Königs" genannt wordeil war.
" Daraus folgt, daß die Stelle, an der das Judentum als Religion
wirklich entstand, nicht in Jerusalem, sondern in Babylonien gesucht
werden muß. Nicht die, die 538 in die alte Heimat zurückgekehrt sind,
sondern die, die in der unten Heimat blieben, haben aus sich heraus
die jüdische Religion gebildet. Sie sind es, die den Judäern das
Judentum und seine grundlegende Urkunde erst aufzivingen mußten.
Und sie haben dieses Werk nur durch Vermittelung der damaligen Welt-
nlonarchie durchsetzen können.
Es liegt auf der Haild, daß der persische König in erster Linie
politische Ziele verfolgte, als er den Priester Esra mit so ausgedehnter
Vollmacht versah. Ihm war der Jahwe von Jerusalem ilicht mehr
als der Marduk von Babylon oder der Ammon voil Memphis: ein
Himmelsgott, der an dieser bestimmten Stelle seinen Sitz hatte und
daher nur hier verehrt werden konnte, ein übernatürliches Wesen, an
dessen Wirklichkeit und Macht der König wohl nicht gezweifelt hat, das
ihm aber durchätzs' nicht als einziger Gott in der ganzen Welt erschien..