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brauchten sie nicht zn beachten. Sie waren nicht theoretisch Mono
theisten (Gläubige an einen Gott); aber praktisch kam für ihre
Frömmigkeit nur dieser eine, eben ihr Stammgott, in Frage.
NB. Die nähere Ableitung und Begründung der in diesem und dein
vorigen Abschnitt kurz zusammengestellten Tatsachen steht in den früheren
Untersuchungen. Es kommen hier vor allein folgende Abschnitte in Betracht:
Israels Ansiedelung in Kanaan; Die zwölf Söhne Jakobs; Der ursprüngliche
Jahwe; Die Gesetzgebung ailf dein Sinai.
Die Götter von Kanaan.
AIs die Israeliten in Kanaan einbrachen, hatte hier bereits seit
lange eine relativ hoch entwickelte Kultur bestanden: Weizenfelder,
Oelgärten, Weinberge, Feigenpflanzungen, nmmauerte Bauernstädte
unter der Herrschaft von Stadtkönigen, eiserne Streitwagen, von
Pferden gezogen — das Pferd war den damaligen Beduinen noch
fremd —, Handelsverkehr, Lesen und Schreiben, bei den Phöniziern
auch eine relativ hoch entwickelte Kunst. Bei diesem großen Vorsprung
rn der allgemeinen Kultur ist es selbstverständlich, daß auch die
kanaanäische Religion der damaligen israelitischen weit überlegen ge-
wesen sein muß. Und alles, was wir über sie wissen, bestätigt diese
Vermutung durchalls.
Auch die kanaanäische Religion ist entstanden, ivie alle Gottesvor
stellungen überhaupt, nämlich ans der Anschauung von Natnrgegen-
ständen oder Naturerscheinungen, deren Vorhandensein man sich ilicht
zu erklären wußte: der uralte Baum, der trotz seines unvorstellbar hohen
Alters immer noch grünt, der Felsblock, der unvermittelt mitten im
Tal liegt, der Quell in der Wüste und vieles andere mehr, das alles
hat Anlaß gegeben, bestimmte Gottesnamcn zu bilden und bestimmte
Gegenden als heilige statten dieser bestimmten Gottheit zu verehren.
Aber auch für Kanaan liegt diese älteste Stufe der Religion weit vor
der Erinnerung geschichtlich erfaßbarer Menschen. Sie wirkt in die ge
schichtliche Zeit nur noch nach durch die verschiedenen Götternamen und
die Existenz der verschiedenen Heiligen Stätten. Der Ursprung dieser
Namen und Stätten aber war längst vergessen.
Daß alle diese verschiedenen Lokalgötter und Lokalheiligtümer sich
bis in die geschichtliche Zeit überhaupt erhalten konnten, hat in den wirt
schaftlichen und politischen Verhältnissen Kanaans seinen Grund. Die
ursprüngliche Bauernwirtschaft wirkt überall in der Welt dezentrali
sierend: sie kennt wenig Verkehr, wenig Kauf und Verkauf und stellt
in der Bedarfsdeckung jedes Dorf und jede Stadt zunächst auf den
Ertrag ihrer eigenen Aecker und Gärten. Dazu kommt für Kanaan noch
eine starke politische Zersplitterung. Solange nicht die harte Hand der
ägyptischen Militärmonarchie das Land in einheitlicher Verwaltung
hielt, hat fast jede Stadt mit den umliegenden Dörfern zusammen auch
eine selbständige politische Einheit gebildet. Daraus ergab sich die Not-
wendigkeit einer großen Menge kleinerer und größerer Heiligtümer von
selbst, die über das ganze Land zerstreut liegen mußten. Tatsächlich
haben denn auch, wie spätere israelitische Schriftsteller sagten, „auf
jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum" altkanaanäische
Altäre gestanden.
Aber die kanaanäische Religion war doch schon längst dazu über
gegangen, wenn auch nicht im Kultus, so doch in der Phantasie itnb in der
Benennung, alle diese verschiedenen Lokalgötter als Erscheinungsformen