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Jahwe verdrängt die Götter des Landes.
Und diese Glut für Jahwe war nicht nur die Stimmung eines
Momentes: sie muß mindestens anderthalb Jahrhunderte das Gemüt
der Israeliten völlig beherrscht haben. Fast alle Städte, in denen
Israel später lebte, hat es den Kanaanäern in blutigem Kampfe ent
rissen. Schon vor dem Debora-Lied haben diese Kämpfe begonnen,
und noch lange nachher haben sie angedauert. Mindestens ein halbes
Jahrhundert nach dem Siege, den das Debora-Lied preist, hat Gideons
Sohn Abimelcch mehrere kanaanäische Städte auf dem Gebirge Ephraim
unterworfen, unter ihnen Sichem, das Wohl von altersher die be
deutendste Stadt des Gebirges war: So lange also hatten diese Städte
noch ihre Selbständigkeit zu behaupten vermocht.
Was der späteren Josua-Sage als ein einzelner Feldzug von
wenigen Wochen erschien, ist demnach in Wirklichkeit eine Periode
gewesen, die viele Jahrzehnte, vielleicht auch länger als ein Jahr
hundert gedauert hat, eine Periode voll lauter einzelner Kämpfe und
Siege, freilich, wie das Debora-Lied zeigt, gelegentlich auch voll emp
findlicher Niederlagen. Und immer wieder mußte in diesen Kämpfen
dieselbe Stimmung entstehen, die aus dem Debora-Lied spricht.
Und noch während diese Kämpfe tobten, traten neue kriegerische
Aufgaben an die Israeliten heran: sie hatten das Land gegen aus
wärtige Feinde zu schützen. Gideon schlägt die Midianiter, den Be
duinenstamm aus der Wüste, mit dem einst Israel gemeinsam den
Jahwe vom Sinai angebetet hatte. Jephta drängt die Ammoniter
zurück. Im Kampf »nt denselben Feinden aus dem Ostjordanland
kommt das Königtum L-auls in die Höhe. Seine Hauptaufgabe aber
ist der Krieg gegen die Philister, die von Westen, von der Ebene her,
gegen das israelitische Land herandrängten. Auch diese Kämpfe füllen
mehr als dreißig Jahre. Erst David, der junge judäische König,
hat die Philister endgültig zurückgedrängt und eine neue Periode ver
hältnismäßig friedlicher Zeiten eröffnet.
so dürfen wir im ganzen fast zwei Jahrhunderte für die kriege
rische Periode der Eroberung der Städte und der Behauptung im Lande
veranschlagen (rund von 1200 bis 1000 vor Christus). Und in dieser
ganzen Zeit ist die Stimmung kaum eine andere gewesen, als wie wir
sie aus deni Debora-Lied kennen. Der Krieg ist noch vollkommen Volks
krieg, mit ungeregelter Erhebung und unter Führung dessen, der durch
seine Begeisterung die anderen mitzureißen versteht.
Gideon hat Blutrache gegen die Häuptlinge der Ammoniter zu
üben, die seine Brüder erschlagen haben. Er stößt in die Posaune
und erhebt den Schlachtruf: Hier Schwert Jahwes und Gideons! Mit
den 300 Mann 'seiner Sippe schlägt er die Feinde in die Flucht. Jephta
ist ein abenteuernder Freibeuter, vorher aus seiner Sippe vertrieben, in
der Stunde der Not freiwillig zurückgerufen. Saul ist ein unselb
ständiger Haussohn im Haushalt des Vaters. Aber als er den Hilfe
ruf einer israelitischen Stadt vernimmt, kommt Jahwes Geist über
ihn: er zerstückelt ein Joch Rinder, schickt die Stücke in ganz Israel
umher und läßt ausrufen: „Wer nicht auszieht hinter Saul her, dessen
Rindern wird es also ergehen." (1. Samnelis 11, 7.) Da fiel ein
Jahwe-Schrecken auf alles Volk, und ivie ein Mann schatten sie sich
hinter Saul. Die Erhebung geht noch ganz ebenso vor sieh wie in den
Tagen des Barak und der Debora. Die Begeisterung ersetzt noch ganz
die Disziplin und die geregelte Kommandogewalt. Und in der Begeiste
rung erlebt man Jahwe, und Jahwe allein!