Full text: Die Propheten (6)

Alt-Israel 
Bauernreligion. 
In einer Art ist die israelitische Religion eine der konservativsten 
-gewesen, die wir überhaupt kennen. Das Volt hat seine ursprünglichen 
Wohnsitze verlassen, ist gewandert, hat eine neue Heimat gefunden, ist 
zu einer neuen wirtschaftlichen Kultur übergegangen und hat trotz alle 
dem den uralten Namen seines ersten Gottes nicht vergessen, hat die in 
der Wüste übernommenen Sitten und Gebräuche (Beschneidung, Opfer. 
Passah, Speisegebote. Sabbat- und Neumondtag) auch im Kulturland 
behaltet: und hat der Versuchung schließlich doch widerstanden, modernere 
Götter an die Stelle des altüberkommenen treten zu lassen. 
Aber diese Erhaltung des Alten trifft nur die Form, in der die 
Religion erscheint. In ihrem inneren Leben, in der Stimmung, der 
Phantasie, dem Glauben, der hinter den äußeren Formeln- lebt und sich 
in ihnen ausdrückt, ist auch die israelitische, wie jede andere Religion, 
dem Wechsel der allgemeinen Kulturzustände regelmäßig gefolgt. Der 
alte Gottesname und die uralten Bräuche erhielten im Kulturland 
einen durchaus neuen Sinn. Die Religion zeltender Hirten ist zuui 
Glauben städtebewohnender Bauern geworden. 
Am stärksten prägt sich das in der Vorstellung aus, die man vom 
Wesen des Stammgottes selber gewannst Jahwe, in der ursprünglichen 
Bedeutung des Wortes „der Lodernde", der in der Feuerslamme er 
scheint und darum im Bilde nicht darstellbar ist, wird seit dem elften 
Jahrhundert im Stierbild verehrt! Nicht nur, daß man das Stierbild 
des uralten El Schaddaj von Bethel als Jahwe-Bild 31t verstehen be 
gann. Man baute nach seinem Muster auch neue „Goldenen Kälber", 
d. h. Stierbilder aus Holz mit eineni lleberzug von Goldblech, in denen 
man Jahwe verehrte. Eins dieser Art stand im Jahwe-Tempel in Dan: 
ein anderes ließ Gideon in seiner Vaterstadt Ophra aufstellen, um 
Jahwe für den Sieg über die Midianiter zu Preisen (um 1060 vor 
Christus). Selbst die Jahwe-Priester in Silo, die den Kastei: Jahwes 
zu hüten hatten, erscheinen später in: Besitz eines goldenen Jahwe- 
Bildes: da sie nach der Zerstörung Silos durch die Philister kaum in 
der Lage gewesen sein werden, ein goldenes Gottesbild zu bezahlen, so 
muß auch dieses aus der Zeit vor ungefähr 1030 stammen. Andere 
Bildnisse dieser Art haben sich sogar wohlhabende Privatleute bauen 
lassen. (Richter 17.) 
Auch den anderen Ueberlieferungen aus der Wüste ging es incht 
anders. Der Blutzauber in der Beschneidung verlor den alten Sinn: 
die Beschneidung ward zur Sitte, die den Israeliten von seiner Um 
gebung, sowohl vom Kanaanäer wie von: Philister unterschied. Man 
gewöhnte sich bald, sic nicht mehr am niannbaren Jüngling, sondern an: 
neugeborenen.Kind zu vollziehen. Das Tieropser ward nach wie vor 
Biblisch«? Geschichten. V!. 2
	        
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