Full text: Die Propheten (6)

Imbon noch nichts gefühlt. Aehnliches zeigt der „Segen des Jakob": 
Juda und Benjamin werden wegen ihres „Raubes" gepriesen; und wenn 
Simeon und Levi wegen ähnlicher Gewalttat verflucht werden, so doch 
nur deshalb, weil ihre Tat nicht den gewünschten Erfolg hatte. So 
hatte auch das Debora-Lied über die Tat der Jaöl gejubelt, die dem 
feindlichen König auf der Flucht das Gastrecht geboten und ihn dann 
von hinten erschlagen hatte. 
„Inneres Leben" im Sinne der späteren Frömmigkeit war dieser 
Zeit noch völlig fremd. Jahwes Segen oder Jahwes Gnade bedeutete 
fettes Land, ordentlichen Regen, saftige Ernte an Korn und Wein, Wein 
und Milch in Fülle. Jahwe segnet durch Fruchtbarkeit an Menschen, 
Acker und Vieh. Man lebte noch ganz in der Wirklichkeit des Genusses. 
Und das höchste Ideal war, zu sterben im Kreise von Hindern und 
Kindeskindern, alt und lebenssatt. 
Man wußte seit lange, daß Jahwe im Himmel lebe. Schon die 
Kain-Abel-Sage hat diese Vorstellung vertreten. Und schon die Ueber 
nahme der kanaanäischen Dichtung von Elohim und der Himmelsleiter 
von Bethel mußte diese Vorstellung nahelegen. Für Jahwe, den Gewitter 
gott, der den Regen sendet, und für den die Sterns vom Himmel herab 
kämpfen, war es nicht schwer, diese kanaanäische Vorstellung anzunehmen. 
Trotzdem aber blieb, wie gerade die Kain-Abel-Erzählung zeigt, Kanaan 
das Land, in dem allein man Jahwes Angesicht suchen konnte. Achnlich 
hat der Tempelweihespruch des Salomo die Vorstellungen vom Himmcls- 
gott mit der eines bestimmten Wohnsitzes auf Erden verbunden: „Die 
Sonne hat Jahwe ans Himmelszelt gestellt; er selbst aber hat gesagt, 
im Dunkeln wolle er wohnen. So hab ich ein Haus dir gebaut als 
Wohnung, eine Wohnstätte für dich auf ewige Zeiten." (1. Könige 8, 
12—13.) Jahwe wohnt in dem Tempel auf dem Zion; trotzdem gilt 
er als der Gott, der auch Sterne und Himmel geschaffen hat. 
So zeigt diese Stufe der israelitischen Religwn ein merkwürdiges 
Ineinander von fortgeschrittenen und altertümlichen Gedanken. Durch 
die Umstimmung des geistigen Lebens zu natürlichem Denken wuchs 
Jahwe langsam und unmerklich über dies eine Volk und dies eine Land 
hinaus zum Lenker der ganzen Welt und der ganzen Menschheitsgeschichte. 
Und doch blieb er für das Gefühl seiner Verehrer unlöslich mit Volk 
und Land, mit diesen Menschen und diesen Heiligtümern verbunden. 
Es mußte noch eine weite Strecke in der Entwickelung zurückgelegt 
werden, bis diese Verbindung sich löste; und dann erst konnte sich die 
ganze Kraft des Welt-Gott-Glaubens entfalten. Erst dadurch ist die 
israelitische Religion zu dem Glauben geworden, der eineu weltgeschicht 
lichen Einfluß ausüben sollte. Daß es aber dazu kam, dafür sind die 
sozialen Wandlungen maßgebend gewesen, die sich im Jahrhundert nach 
David anbahnten, und die im neunten Jahrhundert vor Christus zu 
. wirken begannen.
	        
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