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danken der Gemeinde geworden. Der Zion, der Jahwetempel und
die Königsbnrg Davids gelten als die Stelle, von wo einst die selige
Menschheit regiert werden wird. Und der König ans Davids Geschlecht
wird sie leiten. So schlug sich die große Wendung, die die Weissagung
des Jesaja noch in der Neige seines Lebens genoinmen hatte, in seinen
oder seiner Gemeinde Dichtungen nieder.
Die Priester.
Blicken wir aus Jesajas ganzes Leben zurück, so müssen wir sagen:
cs war nur voll Illusion! Keiner hat so wie er gerade die phantastischen
Gedanken der proletarischen Bewegung ergriffen und hat ihre wirklich
keitsfremden, übernatürlichen Züge herausgearbeitet. Und doch war
er ehrlicher als Hosea. Er hat den sozialen Instinkt so ausgesprochen,
wie er ihn fand, und hat nach in seinen letzten Tagen die soziale Er
lösung, „Gerechtigkeit und Friede", als den Kern seiner Hoffnungen
geschildert. Voin richtigen Kultus findet sich in diesen Zukunftsgedichtcn
kauni ein einziges Wort. So hat er trotz aller Wirklichkeitsferne den
großen Gehalt der neuen Religion, die Selbstachtung des Verarmten,
doch ungleich viel treuer bewahrt als sein Vorgänger, der nach Form
irnd Inhalt so großen Einfluß auf ihn gewonnen hatte.
Aber er hatte der volkstiimlich-judäischen Vorstellung vom Wohnen
Jahwes auf dein Zion in die Gedanken der neuen Religion Eingang
verschafft und damit der altjudäischen Denkweise auch in der GemeiMe
neue Nahrung gegeben. Und daniit war die. Brücke gegeben, auf der
nach einiger Zeit auch ihm wieder der Priester zu folgen vermochte,
und nun zu endgültigem Sieg.
Ueber die nächsten siebzig bis achtzig Jahre wissen wir aus dem
Leben des judäischen Volkes so gut wie nichts. Man war Vasall der
Assyrer, hatte hohen Tribut zu zahlen und mag alle Hände voll zu.
tun gehabt haben, die zertretenen und verwüsteten Felder und Gärten
neu zu bepflanzen. Es war eine Zeit ohne politische Taten und ohne
literarisches Erzeugnis, wohl auch wirtschaftlich arm, müde und matt.
In dieser Zeit ist die Gemeinde — sehr zahlreich kann sie noch
immer nicht gewesen sein — in stiller Fortbildung auf dem Wege ge
blieben, den sie unter Jesaja beschritten hatte. Wir wissen, daß in dieser
Zeit die endgültige Form der Zehn Gebote entstanden sein muß, die
unsere Kirchen noch heute im Jugendunterricht brauchen, und daß sie
offenbar schon damals dem Unterricht der Jugend dienten, Den Kultus
im Tempel machte die Gemeinde selbstverständlich mit: ein besonderer
Kampf um beit rechten Kultus war seit der Anerkennung des Zion
als Jahwes Wohnung nicht mehr am Platze. Nur die fremden Götter
mußten energischer als früher abgewehrt werden. Im übrigen treten
die allgemein-sittlichen Gebote naturgemäß stärker hervor. Es lag in
der Linie der ganzen Entwickelung, daß die. Religion, zur Charakter
bildung und zum sittlichen Erziehungsmittel der Jugend wurde. Dir
Herkunft aus der sozialen Bewegung verraten, wie wir sahen, die Zehn
Gebote in jedem Wort.
Lärmender ging die Bewegung in den oberen Klassen und in der
Volksmassc vor sich. Das Unglück, das man erlebt hatte, und die
bleierne Schwüle der Gegenwart belebten überall bei den Bauern
die halbausgestorbenen Kulte der Götter des Landes. Dem Melech
wurden Kinderopfer gebracht, die Baale wurden auf jedem Hügel und
unter jedem grünen Baum mit Feldopfern und betäubender WollnD