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Jahwe und die Wüste, ein anderer ward in die Wüste südlich von
Kanaan abgedrängt, wo er einige Jahrhunderte später eine neue Ge
meinschaft von Jahwe-Stämmen in der Oase Kodes führte. Auf
anderen Wegen als Israel und etwa drei bis vier Jahrhunderte später
ist dann auch Juda vom Süden her in Kanaan eingedrungen.
Welche Zeitdauer für diese Entwickelungen anzusetzen ist, ob Jahr
zehnte, Jahrhunderte oder gar ein Jahrtausend, vermögen wir nicht
zu sagen. Sicher ist nur, daß Israel, auch nachdem es den Boden des
Kulturlandes dauernd besetzt hatte, zunächst noch auf anderthalb bis
zwei Jahrhunderte hin nicht zur festen Seßhaftigkeit übergegangen ist,
sondern als schweifender Hirtenstamm im Gebirge lebte. Erst durch
den ägyptischen Sieg etwa im Jahre 1230, so scheint es, ist ihm die Fort
führung dieses Lebens unmöglich gemacht worden: die Znsammen-
drängung auf ein enges Gebiet zwang es, zu intensiverer Ackerarbeit
und damit zur Siedelung überzugehen.
Damit war der Anstoß zu einer Uniwandlung im israelitischen
Gottesglauben gegeben, der für die ganze Zukunft dieser Religion
grundlegende Bedeutung gewinnen sollte.
Der vorkanaanäische Jahwe.
Der Jahwe von Sinai ist unendlich viel älter als das Volk, das
ihn zu weltgeschichtlicher Bedeutung gebracht hat. Entstanden ist er
aus der Anschauung der Vulkanflamme oder der Wolke, die über dem
Vulkanberg lagert. Die Auffassung einer solchen Naturerscheinung
als eines lebendeir Wesens von unheimlicher und übermenschlicher Kraft
führt bis in die Urzeit des menschlichen Geisteslebens überhaupt
zurück. Auch der Name Jahwe beweist, daß die Leute, die ihn zuerst
gebildet, zwar schon semitisch, aber noch nicht hebräisch gesprochen haben.
Für seine ältesten Verehrer ist Jahwe, wie sein Name zeigt, nicht
mehr als der Geist der Vnlkanflamine gewesen, die auf dein Berge
Sinai raucht, und die den ganzen Berg zur Heiligen Stätte stempelt.
Aber schon lange vor der Zeit, da der Beduinenstannn Israel an diesem
Berge entstand, müssest hier Menschen gewohnt haben, die mit dem
babylonischen Kulturland Fühlung hatten. Sie schufen den Nanren
des Berges, den man seitdem allein kannte: Sinai, die Stätte des Sin,
des Mondgottes, der im Altbabylonien zeitweise als Gott alles Lebens
verehrt worden war. Und mit dem Namen siedelte auch der Kultus des
Mondgottes nach dem arabischen Berge über: der Neumondtag und der
Sabbat als der heilige Tag der vier Formen der Mondwende im Laufe
eines Monats wurden seitdem heilige Tage auch für den Dienst des
Jahwe am Sinai. Als solche, nicht als Tage des Mondgottes, hat
Israel sie gleichzeitig mit dem Jahwe-Glauben überhaupt übernommen.
Der Jahwe, deit die israelitischen Beduinen am Vulkanberg ver
ehrten, war mehr als der reine Naturgott, der in der Vulkanflamme
haust; aber er war längst nicht so groß, wie jener Mondgott, der im
Kulturland als Wecker alles Lebens galt. Er war einfach der Stamm
gott dieses Stainines kriegerischer und viehzüchtender Hirteir. In ihm
faßte sich zusammen, was überhaupt das gemeinsame Leben des
Stammes erfüllte: Krieg und Raub, Herden, Gericht. Seiner Kraft
dankte man den Sieg über die Feinde; ans seinen Zorn schob man es,
wenn man Unglück erlitt. Er war es, der den jährlichen Wurf der
Herde gab; als sein Wille wurde betrachtet, was das Zusammenleben
der Menschen an Rechtsgebräuchen und Sitte allmählich geschaffen hatte.