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Das große Fest des Stammgottes war das Passah, wo der Gott
selbst in Gestalt der Feuerflamme zwischen den für ihn ausgebreiteten
Opferstücken hindurchschritt. Es war das Frühlingsfest, wo dem Gott
vom neuen Wurf der Schafe und Ziegen —■ anderes Vieh kannten die
Wüstenbewohner noch nicht — die Erstgeburten geopfert wurden. Aber
gerade hier zeigte sich, wie stark die Anschauung der Vülkanflamme noch
immer das Gemütsleben der Menschen bestimmte. Der Gott erschien
nur des Nachts! Die Feuerflamme, die zwischen den Fettstücken loderte,
das war seine wahre Gestalt. Wehe dem Sterblichen, der es gewagt
hätte, dem Gott von Angesicht zu Angesicht zu begegnen! Mit Blut
bestrich man die Türpfosten und Schwellen der Zelte, damit der furcht
bare Gott nicht hereindringen und die Menschen vernichten könne. Und
keiner von denen, die im Zelte ängstlich zusammengekauert saßen, durfte
in dieser Nacht wagen, das schützende Zelt zu verlassen.
Auch sonst spielte der Blutzauber gegenüber dem Stammgott noch
eine große Rolle. An jedem jungen Manne ward er vollzogen, sobald
er ins mannbare und wehrhafte Alter trat und damit zum vollberech
tigten Mitglied des Stammes wurde. Durch die Beschneidung wurde
der Gott alljährlich gebannt, daß er den Jünglingen und dem Stamm
im ganzen hold und gewärtig sei.
Es war ein wilder, unheimlicher, launischer Gott! Wer den
Zauber nicht kannte, um ihn zu bannen, und dennoch von ungefähr
und in harmloser Wanderung seinem heiligen Bezirke, zunahe kam,
den überfiel der Gott des Nachts im Schlafe und schlug ihn tot. Kein
Bild verkörperte des Gottes Gestalt. Wie wäre die Flamme im Bilde
darzustellen gewesen! Und die Flamme war seine eigentliche Erschei-
nung. Nur in den Steinen vom Heiligen Berge besaß man ein Mittel,
den Gott transportabel zu machen und ihn auch auf weitere Fernen
hinaus in der Mitte des Stammes zu halten. Der „Kasten Jahwes",
ein irgendwo geraubtes oder erhandeltes babylonisches Kunstwerk, in
dein man Felsblöcke vom Sinai mit sich führte, war die einzige Ver-
gegenständlichung des Stammgottes, die man besaß. Er ist das Mittel
gewesen, wodurch es möglich wurde, daß der alte Lokalgott aus der
Wüste auch im Kulturland der Gott dieses Stammes blieb.
Einsam hauste dieser Jahwe aus seinem unwirtlichen Berge. Er
hatte keine Brüder und Schwestern, keine Frauen und Kinder, keine
Göttergenossen und Götterdiener. Darum konnte inan auch keine eigent
lichen Göttergeschichten, keine Mythen von ihm erzählen. GLtter-
samilien, Göttergruppen und Göttergeschichten kennt man nur im
Kulturland, wo die Ausbildung größerer Staaten und umfassenderer
Verkehrstreise eine starke Verschmelzung und Ausgleichung vieler ur
sprünglich selbständiger Lokalgötter herbeiführt. Die Beduinen
kannten noch keine Mythologie und keine Vielgötterei, weil sie noch
unterhalb der Kulturstufe standen, auf der Mythen und Götterver
mischung zu entstehen pflegen. Sie waren ein einzelner Stamm und
kannten daher auch nur einen einzigen Gott.
Oder besser, sie verehrten nur einen einzigen Gott. Natürlich
haben sie gewußt, daß draußen in der Welt auch noch andere Götter
walteten und verehrt wurden. Hatte doch jeder Berg, jeder Quell, jeder
uralte Baum seinen besonderen Gott, dem diese Gegend als Heilige
Stätte gehörte,, und den man verehren mußte, wenn man seine Stätte
betrat, wollte man nicht seinen Zorn erregen. Aber eben darum war
für das Israel, das am Sinai lebte, der Gott dieses Ortes der einzige
Gott, der für sie in Betracht kam. Andere Götter in anderen Ländern