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Christus als KelLertreter und die blutzechenöe
Geistlichkeit.
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n der Laurentiuskirche zu Nürnberg sieht man ein an einenr Pfeiler hängen
des Gemälde aus dem Jahre 1479; dasselbe stellt den christlichen Heiland
dar, wie er in einer Kelter steht und mit geröteten Fähen die in ihr liegenden
Trauben stampft. Lieber Sinn und Aatur dieses Tuns kann die über der Kelter
stehende deutliche Lieberschrift: lorcularcaleavi solus, wozu an einer anderen
Stelle die stark abgekürzten Worte: inebriavi in indignatione kommen, so daß
wir auf Iesaias 63' entschieden verwiesen sind, nicht zweifelhaft lassen. Christus
ist der Keltertreter im Iesaias, ein Bild, das uns auch im neuen Testamente
begegnet und da schon in dieser speziell christlichen Anwendung und Form er
scheint'; die Trauben aber, die gestampft werden, können nichts anderes als
Feinde Christi, das heißt der Kirche, sein. Anten an der Kelter stehen ein
Papst und ein Bischof, fassen die aus der Kelter rinnende rote Flüssigkeit
auf und füllen sie in ein Faß, das auf einem mit den Symbolen der vier
Evangelisten bespannten Wagen liegt. Der Kelter gegenüber, auf der einen
Seite arbeiten ein Kardinal und ein Bischof an einem Fasse, auf der anderen
sieht man, der Kelter zunächst, ein Gebäude mit einem Balkon, worauf ein
König mit Zepter und Krone, und unten einen Keller, woraus eine gekrönte
Figur, auf deren Brust ein 8 mit einer Krone darüber, ein Faß zieht. Hinter
diesem Gebäude steht mannigfaltige katholische Geistlichkeit, ein Papst, ein
Bischof, Mönche mit Tonsuren; sie haben Kelche in den Händen; darüber ist
zu lesen: calicem salutaris accipiam et nomen .. . aus Psalm 116, 13.
Die Kirche zecht also förmlich in Blut, und zwar in Ketzerblut; einen Borrat
davon bewahrt sie in einem Blutkeller und läßt sich davon herausschaffen, um
ein kannibalisches Gelage zu halten, wobei ihr gekrönte Häupter als Keller
knechte dienend Etwas Greulicheres läßt sich nicht Lenken; und wenn hier
auch nichts weiter als eine Vorstellung, ein Bild gegeben, durch welches sich
bestimmte Taten und Gebräuche barbarischer Art nicht bartun lassen, so ist
dies Gemälde doch deshalb von der größten Merkwürdigkeit und Wichtigkeit,
weil es ein so sprechendes Denkmal altchristlicher Sinnes- und Gemütsart ist,
weil es die überhaupt obwaltende unendliche Roheit verrät, in der sich die
1 Die Stelle lautet deutsch nach de Wette also: „Wer ist's, der da kommt von Edom in roten Kleidern
von Bozra. er, prangend in seinem Gewände, stolz einhecgehend ob seiner gewaltigen Kraft? — Ich bin's,
der da Heil verheißet, mächtig zu retten. — Warum ist rot dein Gewand und deine Kleider, wie die des
Keltertreters? Die Kelter trat ich allein, und von den Völkern war niemand mit mir; und ich trat sie in
meinem Zorne und zermalmte sie in meinem Grimme, daß ihr Saft an meine Kleider spritzte, und all mein
Gewand besudelt' ich. Denn ein Dachetag war in meinem Sinne und das Jahr meiner Erlösten war ge
kommen. Lind ich schaute umher, da war kein Helfer, und ich staunte, da war keine Stütze. Da half mir
mein Arm, und mein Grimm, der unterstützte mich. Und ich zertrat Völker in meinen: Zorn. und zermalmte
sie in meinem Grimme, daß zur Erde rann ihr Saft." - Offenbarung Johannis 19, 11 bis 16: „Und ich
sahe den Himmel aufgetan, und siehe, ein weißes Doß und der darauf saß . . . war angetan mit einem in
Blut getunkten Kleide und sein Dame heißet das Wort Gottes. Und aus seinem Munde gehet eM scharfes,
zweischneidiges Schwert, daß er damit die Völker schlage, und er wird sie weiden mit eisernem Szepter, und
er tritt die Kelter des Glulweines des Zornes Gottes, des Allmächtigen. Und er trägt auf seinem Gewände
und auf seiner Hüfte einen Damen geschrieben: König der Könige und Herr der Herrn." Vgl. Offenbarung
Johannis 14. 14 bis 20. wo die Erde geerntet wird und ein Engel dem andern zuruft: „Lege deine scharfe
Sichel an und schneide die Trauben des Weinstockes der Erde. denn seine Beeren sind reif. Und der Engel
schlug seine Sichel an auf die Erde und schnitt den Weinslock der Erde und warf (die Trauben) in die große
Kelter des Zornes Gottes. Und die Kelter ward getreten außerhalb der Stadt und Blut floß aus der Kelter
bis ins Gebiß der Pferde tausendsechshundert Stadien weit." Schriften, die dieses Gemäldes gedenken,
sind: Dürnbergs Merkwürdigkeiten usw. II, S. 20. Mayer, Dürnberg, S. 130. Obige genauere Be
schreibung desselben ist aus eigener, ganz naher Betrachtung geschöpft. «