Full text: Der Umsturz im Reichstag

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Herold'sche Antrag Kurde, angenommen; für ihn stimmten nebeir dem Zentrum, 
den Nationalliberalen und einem Theil der Rechten auch die freisinnige Volts- 
Partei. Unter ihrer Mitwirkung war somit ein bedeutsames Hinderniß der Ver 
ständigung aus dem Wege geräumt. 
Am Donnerstag, den 80. Oktober, wurden, wenn nicht die Verständigung, so 
doch die Verständigungs - Verhandlungen vor aller Welt entlarvt. , Herr 
Dr. Barth, nach Rickerts Tode der energische Führer der freisinnigen Ver- 
cin/igung, beantragte, die nächste Sitzung erst nach der Vorlegung des Etats 
abzuhalten. Das bedeutete nichts anderes als das Begräbnis; des Zolltarifs. 
Wie auf ein Stichwort fielen jetzt die Masken. Die Konservativen, die 
eben noch die Regierungsvorlage für ganz unannehmbar erklärt hatten, ließen 
jetzt durch den Grafen Limburg-Stirum geharnischten Protest gegen den 
Barth'schen Vorschlag einlegen. Der schlesische Grande, gleich so vielen seiner 
Kollegen an den Zöllen persönlich in hohem Grade interessirt, hielt bei dieser 
Gelegenheit die. erste der vielen Scharfmacherreden, die im Laufe des Geschäfts 
ordnungskampfes noch gehalten werden sollten. Er nannte das Verhalten der 
Linken, das vor wenigen Tagen noch sein Nachbar Graf Kanitz als durchaus 
loyal bezeichnet hatte, „verfassungsfcindlich", natürlich ohne auch nur den 
Schatten eines Beweises für seine Behauptung vorzubringen. -Herr 
Dr. Sattler, derselbe Herr, der eine Woche zuvor die Regierung scheinbar 
zu der Auflösung des Reichstages hatte scharf machen wollen, wollte jetzt nichts 
von dem Barth'schen Antrage wissen, für den er sich hätte erklären müssen, wenn 
anders es ihm Ernst mit seiner damaligen Rede gewesen wäre: jetzt aber sprach 
er bereits von einer „Neigung zur Einkehr", die bei den Konservativen vor 
handen fest 
Noch auf andere Weise zeigte sich, wie sehr die Zollmehrheit darauf brannte, 
das Geschäft sich nicht entgehen zu lassen. Als Singer in Unterstützung des 
Barth'schen Antrages der Rechten zurief: „Sie wollen die Vorlage schlucken Und 
durch das kaudinische Joch kriechen... Wir wollen das Gelingen Ihrer Kuh- 
handelgelüste verhindern... Man nutzt seine politische Macht aus, um eine 
Gesetzgebung herbeizuführen, die einem selbst die Taschen füllt," da brach ein 
furchtbarer Radau auf den Junkerbänken los. „Elender Wicht" schrie irgend 
ein Ostelbier, der die Wahrheit nicht hören mochte, Singer zu. Diese Lärmszenen 
und Schimpfworte der Rechten sollten vorbildlich für die westere Verhandlung 
werden. 
Der Antrag Barth wurde abgelehnt und wegen eines auf den Sonnabend 
fallenden katholischen Feiertages die Berathungen während dreier Tage, aus 
gesetzt. So wurde die angeblich kostbare Zeit systematisch von der Mehrheit ver 
trödelt. 
Ganz unbeachtet blieb in der furchtbaren Aufregung der Sitzung vom 
80. Oktober folgende Aeußerung des Präsidenten: „Eine Abstimmung über den 
§ 1 können wir nicht vornehmen, weil der Absatz 1 vorbehalten ist bis zur Durch- 
berathung des Zolltarifs". Da Niemand widersprach, mußte diese Durch- 
berathung bereits jetzt als Beschluß des Hauses gelten, der durch den Antrag 
Kardorff später schmählich umgestoßen wurde.
	        
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