Full text: Der Umsturz im Reichstag

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Tagesordnung unter dem Vorgeben, daß dies eine Geschäftsordnungs-Rede sei 
und verweigerte alsdann Männern von der Bedeutung Bebels und 
Singers ohne Begründung das Wort zur Geschäftsordnung. 
lim 4,S0 Uhr an jenem Dezember-Sonntagmorgen war das Werk voll 
bracht; der Tarif war angenommen, die Geschäftsordnung lag in Trümmern, 
die Mehrheit schrie Bravo, die Sozialdemokraten riefen Pfuil Gras Büloiv 
empfing die Glückwünsche seiner Mitmogler — ein paar Stunden darauf wurde 
ihm ein neuer Orden umgehangen; es hat, wie es heißt, nur an ihm gelegen, 
daß er nicht auch Fürst geworden ist wegen seiner Verdienste um die Erhöhung 
der Brotzölle. Am 18. Dezember 1891 aber war der Reichskanzler v. Caprivi 
zum Grafen gemacht worden wegen seiner Verdienste um die Herabsetzung der 
Brotzölle. 
Das Zollkartell von Hetzpeitsche, Weihwedel und Geldsack hat gesiegt. Ne 
gierung und Mehrheit haben ihre feierlichen Erklärungen gebrochen und den 
Weg zu einander gefunden: er führte durch die Trümmer der Geschäftsordnung, 
durch die Ruinen der Verfassung. Einer streng gesetzlichen Opposition hat die 
Mehrheit des Reichstags, die nicht die Mehrheit des Volkes ist, brutale Gewalt 
entgegengestellt, sie hat Geist und Buchstaben der Geschäftsordnung in gleicher 
Weise geschändet. Unfähig, mit den Waffen der Rede und Gegenrede der 
Opposition entgegenzutreten, nicht gewillt, auch nur die Mühe auf sich zu nehmen, 
ein paar Wochen lang zur Stelle zu sein, hat sie gebrochen, was sie nicht biegen 
konnte und den Wuchertarif auf ungesetzlichem Wege zum Gesetz gemacht. 
Junker, Zollkaplänc, Schlotbarone, sie alle, alle sind mitschuldig an diesem 
Werke des Rcchtsbruches, des Volksverrathes und der schamlosen Bcutegier. 
Sie alle muß bei den nächsten Wahlen der Volkszorn treffen. Sie, die vor dem 
Bruch der Geschäftsordnung nicht zurückschreckten, werden im gegebenen Augenblick 
auch vor dem Bruche der Verfassung nicht zurückbeben. Sie, die das Grundgesetz 
des Reichstages zerbrachen, werden auch das Grundgesetz des Reiches nicht schonen. 
Wenn das Volk nicht auf der Hut ist, geht es dem allgemeinen Wahlrecht 
an den Kragen. Daun tritt zu der Ausplünderung der Massen ihre politische 
Versklavung. Das Zeichen steht schon an der Wand. 
In der Bekämpfung des Wuchertarifs, in der Vertheidigung des Rechts und 
der Wahrheit hat die Sozialdemokratie bis zum letzten Augenblick ihre Pflicht 
gethan. Der Haß der Gegner ist ihr die höchste Anerkennung. So wird sie 
immer auf dem Posten sein in froher Siegeszuversicht. Wissen wir „Elenden" 
doch, datz Sozialdemokratie und Arbeiterklasse nicht zu trennen sind» daß sic eins 
sind, wie gewachsener Feljm«
	        
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