Full text: Die Bodenreform: Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung der sozialen Not

Bewahranstalten können natürlich nie, so trefflich sie auch 
sein mögen, das zerrissene Band zwischen Mutter und Rind 
völlig ersetzen, wer nimmt sich die Mühe, bei diesen oft 
mit Recht gerühmten Einrichtungen auch einmal daran zu 
denken, wieviel bitteres Leid in Mutterherzen aufsteigen 
muß, wenn das Rind — oft die letzte Freude und Hoffnung 
— lernt, sich hinwegzusehnen von der abgearbeiteten Mutter, 
aus der engen dumpfen Hofwohnung zu den stets fröhlichen 
„Tanten" in den freundlichen Anstaltsräumen? Nein, alle 
solche Veranstaltungen können auch im günstigsten Fall nur 
Notbehelfe in krankhafter Übergangszeit sein. Allerdings, wo 
sie nicht vorhanden sind, führen unnatürliche Verhältnisse oft 
zu noch unnatürlicheren Folgerungen. So berichten die Ge 
werbeaufsichtsbeamten von Berlin III: „Von 566 Müttern 
haben sich 6? oder 11,8% der Erziehung durch dauernde 
Fortgäbe des Rindes entledigt. Die anderen Inspek 
tionen machen ähnliche Eingaben." 
Rinderhandel, Rinderverschenken, Abrichten zur Bettelei, 
Verstümmelung, Hungern, Mißhandlungen, Engelmacherei 
sind die — durchaus nicht vereinzelten — Folgen unserer 
wirtschaftlichen Verhältnisse mitten in unseren großen Worten 
vom „Jahrhundert des Rindes". 
Die Stuttgarter Polizeiassistentin Henriette Arendt 
allein hat in acht Jahren ^095 solcher unglücklichen Rinder 
in ihre Gbhut genommen! 
Wie Märchen und Lüge muß erscheinen, was solche 
deutschen Rinder in Schule und Leben hören von dem, was 
unser Volk von dem Glück des Vaterhauses, von dem Segen 
sorgender Mutterliebe zu singen und zu sagen weiß. 
Daneben erscheinen die unmittelbaren Gefahren fast
	        
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