ORESTES.
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Brief, indem er ihn bei seinem Namen anredet. Orestes gibt
sich der Iphigeneia als ihr Bruder zu erkennen und zerstreut
ihre Zweifel, indem er sich nicht nur über den Familien-
stammbaum genau unterrichtet zeigt, sondern auch an ein
Gewebe mit der Geschichte des goldenen Lammes, das sie
als Mädchen, wie er von Elektra gehört, angefertigt hat, an
ihre Handlungen vor der Abfahrt nach Aulis und an die
Lanze des Pelops erinnert, die in ihrem Schlafgemach steht.
Darauf verabreden sie einen Plan zur Entführung des Bildes
und zur Flucht, wobei Euripides den Schluß seiner eigenen
Helena zweckgemäß umgestaltet. Sie erzählt dem König
Thoas 1 ), die Fremden seien zwei Brüder, die ihre eigene Mutter
getötet hätten; bei ihrem Anblick habe das Bild der Göttin
die Augen geschlossen 1 2 ) und sei von seiner Basis herabgestürzt.
Sie könne die Lockenweihe an den Muttermördern nicht voll
ziehen, bevor sie sie selbst und das Bild im Meerwasser ge
badet hätte. 3 ) Der König, der ihr Glauben schenkt, erlaubt
ihr, wenn auch mit starker skythischer Bedeckung, das Bild
und die Fremden ans Meer zu bringen. Hier weiß Iphigeneia
die Wächter unter dem Vorgehen, daß sie die heilige, geheimnis
volle Handlung nicht mit ansehen dürfen, zu entfernen, löst
den beiden Jünglingen die Bande und alle drei besteigen mit
dem Bilde das in einer Bucht verborgene Schiff des Orestes.
Ein Versuch der Wächter, die Abfahrt zu verhindern, wird
glücklich abgeschlagen, die Verfolgung durch den ergrimmten
Thoas von Athena gehemmt. Die Wirkung auch dieses Dramas
auf die spätere Kunst und Literatur war ungeheuer. Die Über
gabe des Briefes an Pylades ist ein Lieblingsgegenstand der
unteritalischen Vasenmalerei. 4 5 ) Dieselbe Szene findet sich
auch häufig auf etruskischen Urnen, jedoch in ganz ab weichen
dem Typus. 0 ) Oder es wird dort in freier Illustration die
Vorbereitung zum Opfer dargestellt, indem Iphigeneia entweder
auf das Haupt der beiden Freunde libiert oder sich anschickt,
1) S. über diesen oben S. 853 f.
2) Vgl. die unteritalische Legende vom troisohen Palladion oben S. 1235.
3) V. 1193 pdAaowa xXv^ei ndvra rävftQtbmuv y.ay.d.
4) Mon. d. Inst. IV 51. VI. VII 66. Um eine freie Illustration des
Dramas bandelt es sich auf einer anderen Vase, wo die beiden Jünglinge im
Innern des Tempels vor dem Götterbild im Gespräch mit Iphigeneia er
scheinen, als ob sie im Begriff seien, es zu rauben, Ann. d. Inst. XX 1848 tav.
d’ agg. L 2.
5) Körte Urn. etr. II tav. LXXVIII 7. 8. Uber die Verdoppelung der
I’igur der Iphigeneia auf diesen und den folgenden Urnen s. L. Hamburg Obs.
herm. in urn. etr. 28ff.