ROBESPIERRES REDE
bei den Jakobinern am 22, Juni 1791 nach der Entdeckung der Königsflucht
Ich persönlich kann dieses Ereignis kein Unglück nennen. Dieser Tag ist der schönste der
Revolution, wenn Ihr ihn zu begreifen und auszunutzen versteht. Der König hat zur Deser-
tion den Augenblick gewählt, wo wir innen und außen von tausend Gefahren umringt sind:
die Versammlung ist in Mißkredit gesunken; die bevorstehenden Wahlen erregen die Ge-
müter; die Emigranten treiben sich in Koblenz herum; der Kaiser und auch der König von
Schweden sind in Brüssel; unsere Ernten sind reif, um ihre Armeen zu nähren: aber drei
Millionen Männer stehen in Frankreich auf den Beinen, und leicht würde diese europäische
Liga überwunden werden, Ich fürchte weder Leopold noch den König von Schweden; was
mich allein bange macht, scheint alle anderen zu beruhigen: der Umstand nämlich, daß alle
ansere Feinde seit diesem Morgen geflissenflich die gleiche Sprache reden wie wir. Alle
Welt ist einig, alle haben scheinbar das gleiche Gesicht. Aber es können sich nicht alle über
lie Flucht des Königs gleicherweise freuen, der 40 Millionen Rente hatte, über alle Stellen
verfügte und sie seinen Vertrauten und unseren Feinden übergab. Es gibt also Verräter
unter uns, es bestehen also Einverständnisse zwischen dem flüchtigen König und diesen in
Paris zurückgebliebenen Verrätern. Lest das königliche Manifest; und das Komplott wird
sich Euch ganz enthüllen. Der König, der Kaiser, der König von Schweden, Artois, Conde,
alle Flüchtlinge, alle Banditen werden gegen uns rücken. Es wird ein väterliches Manifest
erscheinen; der König wird Euch darin von seiner Liebe, vom Frieden, sogar von der Frei-
heit vorschwatzen; zu gleicher Zeit werden auch die Verräter der Departements und der
Hauptstadt Euch als die Männer des Bürgerkriegs schildern; man wird unterhandeln, und
die Revolution wird in den perfiden Umarmungen eines hypokritischen Despotismus und
schtichternen Moderantismus erstickt werden . . . Antonius befehligt die Legionen, die Cäsar
rächen werden, und Oktavian, der Neffe Cäsars, befehligt die Legionen der Republik.
Wie sollte die Republik nicht zugrunde gehen? Man spricht uns von der Notwendigkeit,
ans zu einigen. Aber als Antonius an der Seite von Lepidus sein Lager aufschlug, und als
alle Verräter der Freiheit sich mit denen vereinten, die sich ihre Verteidiger nannten, da
5lieb Brutus und Cassius nichts übrig, als sich den Tod zu geben. Und dahin führt uns
diese erheuchelte Einhelligkeit, diese treulose Aussöhnung der Patrioten! Jawohl, das ist
es, was man Euch bereitet! Ich weiß, ich schärfe tausend Dolche gegen mich, daß ich diese
Komplotte aufzudecken wage! Ich kenne das Schicksal, das man mir zudenkt! Aber wenn
ich mein Leben der Wahrheit, der Menschheit, dem Vaterland zum Opfer gebracht habe,
als ich in der Nationalversammlung unter den ersten Aposteln der Freiheit kaum bemerkt
wurde, so werde ich heute — nachdem ein allgemeines Wohlwollen und zahlreiche Beweise
Ju