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Es blieb auch damals noch bei der Anregung, denn ein mächtigerer
Einfluß schien den Arbeitgebern die Kosten der gemeinsamen Bekämpfung
der Arbeiterorganisationen ersparen zu wollen. Am 17. Juni 1897
kündigte der Kaiser zu Bielefeld ein Regierungsprogramm an, in dem
er die rücksichtslose Niederwerfung jedes Umsturzes und „die schwerste
Strafe für den, der sich unterstehe, seinen Nebenmenschen, der
arbeiten wolle, an freiwilliger Arbeit zu hindern," verhieß. Und
am 7. September 1898 bekräftigte er diese Ankündigung in einem Trink
spruch zu Oeynhausen durch die Mitteilung, daß ein Gesetz seiner Voll
endung nahe sei, wonach jeder, „er möge sein, wer er will, und heisten,
wie er will, der einen deutschen Arbeiter, der willig wäre, seine
Arbeit zu vollführen, daran zu hindern versucht, oder gar zu
einem Streik anreizt, mit Zuchthaus bestraft werden soll".
Der Ankündigung folgte der Gesetzentwurf im Sommer 1899, der
unter dem Namen „Zuchthausvorlage" für alle Zeiten bekannt ge
worden ist. Sein Dasein war ein sehr kurzes — sein Ende ein bezeich
nendes, aber wohlverdientes: er wurde unter stürmischer Heiterkeit und
Händeklatschen des Reichstags in zweiter Lesung am 20: November 1899
abgelehnt. Tags zuvor hatte der Centralverband deutscher Indu
strieller noch einmal einen krampfhaften Versuch unternommen, zum
Schaden der deutschen Arbeiterbewegung von dem Gesetzentwurf zu retten,
was möglich war. In einer großen Mitgliederversammlung zu Berlin
nahm er eine Resolution an, in welcher er der dem Gesetzentwurf zu
grunde liegenden Absicht, jede mißbräuchliche Ausnützung des Koalitions
rechts zu hindern und unter Strafe zu stellen, beipflichtete und den
Entwurf als geeignete Grundlage für eine dahingehende gesetzliche Rege
lung empfahl. Obwohl Herr v. Stumm im Reichstage auf diese Reso
lution verwies, vermochte sie das Schicksal des Entwurfs nicht zu ändern,
llnter heißen Tränen der Wut der Scharfmacher verschwand das Zucht
hausgesetz im Orkus. Der Schmerz war um so größer, als der Central
verband wenige Monate vorher selbst 12 000 Mk. für die Propaganda
dieses Gesetzentwurfes der Regierung zur Verfügung gestellt hatte und
damit am deutlichsten dokumentierte, daß er dieses Gesetz als seinen
Interessen entsprechend anerkannte. Höher verstieg sich damals die
Opferwilligkeit des industriellen Scharfmachertums nicht. Heute ist ihm
der hundertfache Betrag jener Summe nicht zu hoch, bei seinem Bestreben,
mit der Arbeiterbewegung fertig zu werden.
Nachdem die Hoffnung auf eine staatliche Vernichtung der Arbeiter
bewegung getäuscht war, waren die Scharfmacher mehr denn je darauf
bedacht, die eigene Organisation der Unternehmer zu stärken und den
Kampf gegen die Gewerkschaften systenratischer zu gestalten. Mit der
Aussperrung von 6000 Hamburger Werftarbeitern im Sommer des
Jahres 1900, die herbeigeführt wurde, weil die Arbeiter einen Pfennig
Lohnerhöhung forderten, begann die Aera der grasten Massenaus-
syerrungen, in welcher wiederum der Hamburg-Altonaer Arbeitgeber
verband die führende Rolle übernahm. Die mit dem Jahre 1901 einsetzende
Periode des wirtschaftlichen Niederganges bot der organisierten Industrie
häufig Gelegenheit, diese Aussperrungstaktik ungestraft weiter zu üben. Die
Werftindustriellen an der Unterweser, die mit dem Norddeutschen Lloyd unter
einer Decke stecken, erdreisteten sich sogar, bei Strafe der Entlassung den Aus
tritt ihrer Arbeiter aus der Verbandsorganisation zu fordern und denjenigen,
welche Wert aufWeiterbeschäftigung legten, die Verbandsbücher abzunehmen.
Aber weder diese Repressalien, noch die systematische Aussperrungs
taktik vermochten die weitere Entwickelung und den Erfolg der Gewerk-