16
können, die als gröbliche Verletzung der Ehre des doch an kräftige Ausdrücke
gewöhnten Arbeiters angesehen und mit Gefängnisstrafe geahndet
werden. G e l d st r a f e, die sonst für Beleidigungen die Normalstrafe ist, ist
hier vom Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen. Wer den höchsten Beamten des
Reiches, den deutschen Reichskanzler, beleidigt, ist nicht schuldig,
wenn das, was er sagt, wahr ist, oder wenn der Täter in Wahrnehmung
berechtigter Interessen handelt. Und trifft ihn selbst eine Strafe, so kann er
mit einer geringen Geldstrafe davonkommen. Der elastische, vage, der Willkür
Tür und Tor öffnende, vom § 163 gebrauchte Ausdruck der Ehrverletzung er
schien dem Gesetze für den Schuh der Person des S o u v e r ä n s s e IL st als
zu weitgehend. Das Gesetz verlangt daher in seiner neuesten Fassung, die
der Begriff der Majestätsbeleidigung erfahren hat, hier eine Beleidigung, die
in der Absicht der Ehrverletzung, böswillig und mit Ueberlegung begangen ist.
Als Strafmittel läßt das Gesetz Festungshaft, also eine nichtentehrende Strafe
ohne Arbeitszwang zu. Einzig und allein der Streikbrecher genießt im
Deutschen Reiche einen Schutz, dessen sich kein anderer Mensch, selbst nicht der
Kaiser oder sein Kanzler, rühmen kann. Der große Tote, der Göttinger
Rechtslehrer Rudolf von Jhering hat einmal gesagt: „Je höher uns ein Gut
steht, desto mehr nehmen wir Bedacht auf seine Sicherung. Ebenso macht es die
Gesellschaft mit ihren Lebensbedingungen. Der Tarif der Strafe ist der Wert
messer der sozialen Güter. Wer auf die eine Seite die sozialen Güter und
auf die andere Seite die Strafen stellt, hat die Wertskala der Gesellschaft.
Wie hoch steht das Menschenleben, die Ehre, die Freiheit, das Eigentum usw.
Schlage das Strafgesetzbuch auf und du wirst es finden." Sind diese Worte
unseres genialsten Juristen richtig, so steht in Deutschland an der Spitze
des strafrechtlichen Preiskurants die Ehre des Streikbrechers. Der
Grund ist klar genug. Der Streikbrecher ist der heutigen Gesellschaft die un
entbehrlichste Person. Den deutschen Reichskanzler kann man ersetzen, nicht
aber den Streikbrecher, der, da er die Konkurrenz der Arbeiter untereinander
schafft, die einseitige Festsetzung der Arbeitsbedingungen durch den Unter
nehmer erniöglicht, ohne daß dem Arbeiter, will er nicht verhungern, eine
andere Wahl bleibt, als die der Annahme und damit des Verzichts aus die
Anteilnahme an der Kultur der Menschheit. Daher der intensive Schutz
der Ehre des Streikbrechers, und daher das Verlangen an die Streikenden,
in Zeiten leidenschaftlichster Existenzkämpfe bei Vermeidung schwerer Ge
fängnisstrafe sich jeden Ausdrucks zu enthalten, der auf denjenigen selbst,
gegen den er sich richtet, keinerlei verletzenden Eindruck macht.
Das Gesetz verbietet weiter — und das ist das dritte Moment, in dem
§ 153 seinen Charakter als Klassengesetz offenbart — die Anwendung der da
selbst genannten Mittel nur dann, wenn diese dazu dienen sollen, eine
Koalition zu begründen oder aufrecht zu erhalten. Die auf
Vereitelung dcS im § 152 gewährleisteten Zweckes gerichteten Bestre
bungen, die Versuche der Verhinderung des gewerblichen Arbeiters an
der Ausübung seines Koalitionsrcchts werden dagegen von der Bestimmung
nicht getroffen. So kommt cs, daß oft die größte Vorsicht und Zurückhaltung
den streikenden Arbeiter vor erfolgreichen Anklagen kaum zu schützen vermag,
während das Unternehttrertum vor der Zerstörung bestehender und der Ver
hinderung neu zu gründender Koalitionsverbände nicht zurückschreckt und nicht
zurückzuschrecken braucht. Ich würde Ihre Zeit ungebührlich in Anspruch
nehmen, wenn ich in diesem Kreise, der den Terrorismus des iluternehmcr-
tums tagtäglich am eigenen Leibe spürt, Beispiele anführen wollte, für die
oft mit brutalster Grausamkeit durchgeführte Aussperrung mißliebiger organi
sierter Arbeiter, nur weil sie von ihrem Koalitionsrecht Gebrauch machen,