Full text: Das Koalitionsrecht in Deutschland und der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch

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können, die als gröbliche Verletzung der Ehre des doch an kräftige Ausdrücke 
gewöhnten Arbeiters angesehen und mit Gefängnisstrafe geahndet 
werden. G e l d st r a f e, die sonst für Beleidigungen die Normalstrafe ist, ist 
hier vom Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen. Wer den höchsten Beamten des 
Reiches, den deutschen Reichskanzler, beleidigt, ist nicht schuldig, 
wenn das, was er sagt, wahr ist, oder wenn der Täter in Wahrnehmung 
berechtigter Interessen handelt. Und trifft ihn selbst eine Strafe, so kann er 
mit einer geringen Geldstrafe davonkommen. Der elastische, vage, der Willkür 
Tür und Tor öffnende, vom § 163 gebrauchte Ausdruck der Ehrverletzung er 
schien dem Gesetze für den Schuh der Person des S o u v e r ä n s s e IL st als 
zu weitgehend. Das Gesetz verlangt daher in seiner neuesten Fassung, die 
der Begriff der Majestätsbeleidigung erfahren hat, hier eine Beleidigung, die 
in der Absicht der Ehrverletzung, böswillig und mit Ueberlegung begangen ist. 
Als Strafmittel läßt das Gesetz Festungshaft, also eine nichtentehrende Strafe 
ohne Arbeitszwang zu. Einzig und allein der Streikbrecher genießt im 
Deutschen Reiche einen Schutz, dessen sich kein anderer Mensch, selbst nicht der 
Kaiser oder sein Kanzler, rühmen kann. Der große Tote, der Göttinger 
Rechtslehrer Rudolf von Jhering hat einmal gesagt: „Je höher uns ein Gut 
steht, desto mehr nehmen wir Bedacht auf seine Sicherung. Ebenso macht es die 
Gesellschaft mit ihren Lebensbedingungen. Der Tarif der Strafe ist der Wert 
messer der sozialen Güter. Wer auf die eine Seite die sozialen Güter und 
auf die andere Seite die Strafen stellt, hat die Wertskala der Gesellschaft. 
Wie hoch steht das Menschenleben, die Ehre, die Freiheit, das Eigentum usw. 
Schlage das Strafgesetzbuch auf und du wirst es finden." Sind diese Worte 
unseres genialsten Juristen richtig, so steht in Deutschland an der Spitze 
des strafrechtlichen Preiskurants die Ehre des Streikbrechers. Der 
Grund ist klar genug. Der Streikbrecher ist der heutigen Gesellschaft die un 
entbehrlichste Person. Den deutschen Reichskanzler kann man ersetzen, nicht 
aber den Streikbrecher, der, da er die Konkurrenz der Arbeiter untereinander 
schafft, die einseitige Festsetzung der Arbeitsbedingungen durch den Unter 
nehmer erniöglicht, ohne daß dem Arbeiter, will er nicht verhungern, eine 
andere Wahl bleibt, als die der Annahme und damit des Verzichts aus die 
Anteilnahme an der Kultur der Menschheit. Daher der intensive Schutz 
der Ehre des Streikbrechers, und daher das Verlangen an die Streikenden, 
in Zeiten leidenschaftlichster Existenzkämpfe bei Vermeidung schwerer Ge 
fängnisstrafe sich jeden Ausdrucks zu enthalten, der auf denjenigen selbst, 
gegen den er sich richtet, keinerlei verletzenden Eindruck macht. 
Das Gesetz verbietet weiter — und das ist das dritte Moment, in dem 
§ 153 seinen Charakter als Klassengesetz offenbart — die Anwendung der da 
selbst genannten Mittel nur dann, wenn diese dazu dienen sollen, eine 
Koalition zu begründen oder aufrecht zu erhalten. Die auf 
Vereitelung dcS im § 152 gewährleisteten Zweckes gerichteten Bestre 
bungen, die Versuche der Verhinderung des gewerblichen Arbeiters an 
der Ausübung seines Koalitionsrcchts werden dagegen von der Bestimmung 
nicht getroffen. So kommt cs, daß oft die größte Vorsicht und Zurückhaltung 
den streikenden Arbeiter vor erfolgreichen Anklagen kaum zu schützen vermag, 
während das Unternehttrertum vor der Zerstörung bestehender und der Ver 
hinderung neu zu gründender Koalitionsverbände nicht zurückschreckt und nicht 
zurückzuschrecken braucht. Ich würde Ihre Zeit ungebührlich in Anspruch 
nehmen, wenn ich in diesem Kreise, der den Terrorismus des iluternehmcr- 
tums tagtäglich am eigenen Leibe spürt, Beispiele anführen wollte, für die 
oft mit brutalster Grausamkeit durchgeführte Aussperrung mißliebiger organi 
sierter Arbeiter, nur weil sie von ihrem Koalitionsrecht Gebrauch machen,
	        
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