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des Reichsgerichts, zur Erreichung eines Ziele?, auf das ein durch Klage
erzwingbarer Rechtsanspruch nicht besteht. Ein Rechtsanspruch auf Zahlung
höherer Löhne oder auch nur auf Beibehaltung des alten Lohnsatzes nach
Ablauf des Arbeitsertrages aber existiert nicht, so daß die Erreichung dieses
Zieles stets rechtswidrig ist. Erklären also die Arbeiter oder der Organi-
sationsvertreter oder die Arbeiterpresse dem Unternehmer, in dessen Betrieb
die Kündigungsfrist ausgeschlossen ist: Wenn Sie morgen die beabsichtigten
Lohnabzüge vornehmen, dann müssen wir streiken, so ist der Tatbestand der
Nötigung gegeben. Ein solches Gesetz erscheint zwar als bösartige, Helle
Verrücktheit, es würde aber, wenn der Entwurf Gesetz wird, im Deutschen
Reiche in aller Form Rechtens werden. Der Streik wird gestattet, wer aber
das mildere Mittel anwendet und sich zunächst auf Verhandlungen mit dem
Unternehmer einläßt, um den Ausstand zu vermeiden, kommt bis zu 2 Jahren
ins Gefängnis. Die vom Entwurf vorgeschlagene Aenderung des Nötigungs.
Paragraphen stellt sich also als die denkbar schärfste Waffe im staatlichen
Kampfe gegen das Koalitionsrecht dar. Hier werden die radikalsten Forde
rungen des Scharfmachertums verwirklicht. Hier sind es nicht mehr angebliche
Auswüchse bei der Betätigung der Koalitionsfreiheit, nicht mehr der angebliche
Terrorismus der organisierten Arbeiterschaft, die zum Gegenstand des An
griffs gemacht werden, vielmehr richtet sich der Kampf gegen die bloße Aus
übung des Koalitionsrechts als solche.
Es ist schwerlich begreiflich, wie ein hoher preußischer Richter, der Kammer,
gerichtsrat Kronecker, der als Richter wie als Schriftsteller wie als Mitglied
der Strafprozehkommission sich als ein wohlwollender, sozialpolitisch einsichts
voller und kluger Mann bewährt hat, die Fassung des Entwurfs empfehlen
kann, mit dem Hinzufügen, nur müsse daran festgehalten werden, daß unter
„rechtswidriger Absicht" lediglich die Absicht verstanden werden dürfe, einen
der Rechtsordnung zuwiderlaufenden Zweck zu erreichen. Machen wir
uns doch selbst nichts vor! Die Vergangenheit lehrt, daß die Praxis und
ganz besonders auch die des Kammergcrichts, dem Herr Kronecker
selbst angehört, den Begriff „rechtswidrig" in diesem vernünftigen, für
den gesunden Menschenverstand sich von selbst ergebenden Sinne niemals
verstanden hat. Und die Motive zum Entwurf erklären in dem Kapitel über
die Erpressung mit aller Schärfe, daß es bei der alten Auslegung sein Be
wenden zu behalten habe. Dort heißt es: Der rechtswidrige Vermögensvortcil
braucht ^ur ein im Rechte nicht begründeter zu sein. Tie Beschränkung auf
einen dem Rechte zuwiderlaufenden VcrmögenSvorteil Ivürde der Strafbarkeit
zu enge Grenzen fetzen. Hier also ist mit dürren Worten dem Richter die
Weisung gegeben, das Streben nach günstigeren Lohnbedingungen als rechts,
widrig anzusehen und daher den Nötigungsparagraphcn zur Anwendung zu
bringen, sobald der Arbeiter unter Ankündigung des Streiks eine Besserung
seiner Lage fordert. Der Entwurf der Professoren erkennt richtig die hier
drohende Gefahr und ändert deshalb die Anfangswoiste des Entwurfs dahin
ab: „Wer in der Absicht, einen dem Rechte zuwiderlaufenden Erfolg herbei
zuführen." Diese Fassung ist für die Koalitionsfreiheit ungefährlich. Denn,
wie bereits vorher bemerkt ist, kann in der Erzielung einer Lohnerhöhung nie
mals ein dem Recht zuwiderlaufender Erfolg gefunden werden.
Die Begründung beruft sich für die Richtigkeit der vom Entwurf vorge
schlagenen Formulierung auch auf die neue Gesetzgebung des Auslandes.
Auf dieses Gebiet den Motiven zu folgen, verlohnt sich nicht der Mühe. Ich
gehe darauf, obwohl ich diese Gesetzgebung des Auslandes hier vor mir liegen
habe, an dieser Stelle nicht ein. Denn selbst die gleiche Fassung unseres Ge
setzes niit irgendeinem fremden Recht würde absolut nichts beweisen. Alles