Full text: Das Koalitionsrecht in Deutschland und der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch

nicht auf einem Umweg erreichen dürfe, und daß es mit der Reinheit der 
Rechtsidee nicht vereinbar sei, jedem Schutzmann zu gestatten, durch sein der 
Kontrolle der Gerichte entzogenes Machtwort ein Reichsgesetz außer Kraft 
zu setzen. Und nun gar erst die von dieser Rechtsprechung Betroffenen! Welch 
finsteres Mißtrauen gegen die Justiz hat sich ihrer bemächtigt, welch leiden 
schaftliches Gefühl rechtlicher Vergewaltigung durch die polizeilichen Organe! 
Jede neue Verurteilung wegen Streitpostenstehens ist eine erneute Auf 
reizung ihres Nechtsgefühls. Selbstverständlich läßt die organisierte Arbeiter 
schaft durch alle die kleinen und kleinlichen polizeilichen Nadelstichs sich nicht 
beirren, sie bedarf des Streikpostenstehens, will sie auf die Ausübung des 
Koalitionsrechtes nicht verzichten und muß daher die Unannehmlichkeiten mit 
in den Kauf nehmen. 
Gegenüber dem Entwurf aber ist dieser Gleichmut nicht mehr möglich. In 
dem Klassenkampf, der hier unter den feierlichen Formen des Rechts gegen das 
Proletariat geführt wird, sollen diesem ganz andere Wunden geschlagen und 
Jahre aus dem Leben eines Arbeiters ausgelöscht werden, weil er als Ge 
werkschaftsbeamter die ihm anvertrauten Interessen seiner Klassengenossen 
wahrgenommen oder als Streikender die Verbesserung seiner Lebenslage zu 
erstreben sich erdreistet hat, damit das vom Unternehmertum ersehnte Ziel 
endlich erreicht werde: Austreibung des Klassenbewußtseins der Arbeiter, Ver 
nichtung ihrer Organisationen und Beseitigung der Führer der Arbeiter-^, 
bewegung. 
Fragen wir uns endlich, was bietet der Entwurf an positiver Sozial 
politik, an Staatshilfe der Arbeiterschaft für diesen Raub ihrer Rechte, 
für das Verbot der Selbsthilfe durch Koalition? Die Antwort ist hier in einer 
Sekunde gegeben, sie erschöpft sich in dem Worte: Nichts. Wir finden im 
Entwurf keinen Schutz des Koalitionsrechtes gegen die dreisten Angriffe des 
Unternehmertums und die Versuche der Hincinpressung der organisierten Ar 
beiter in die gelben Verbände, keinerlei wirksame kriminalrechtliche Ahndung 
der Uebertretungen der Arbeiterschutzgesetzgebung und keinen Schutz des ein 
zigen Rechtsgutes der überwiegenden Zahl des Volkes, der menschlichen Ar 
beitskraft, gegen die in den verschiedensten Formen betriebene Aus 
beutung und Auswucherung. 
Ueber ein solches Machwerk muß das deutsche Volk rechtzeitig aufgeklärt 
werden. Denn es sind hierüber, selbst unter den Juristen, die verkehrtesten 
Ansichten verbreitet. Ist es beispielsweise glaublich, wenn ein Mann, 
wieder ReichstagSabgeo'Änets M ü l I e r° Meiningen, dessen Haltung bci.^ 
der Reform der StrafpÄzeHKnunig beweist, daß es ihm Ernst ist mit der 
Bekämpfung der die staatsbürgerliche Freiheit bedrohenden Regierungsvor 
schläge, in der „Deutschen Juristenzeitung" von der Humanität sprechen kann, 
von der im allgemeinen in erfreulicher Weise die ausgezeichneten Vorarbeiten 
für das deutsche Reichs st rafgesetzbuch getragen-sind? Die Arbeiter 
schaft dagegen wird sich durch die geschickten Schlagworte des Entwurfs nickit 
täuschen lassen und Schein und Wesen auseinander halten. Hat sie 
ja doch am eigenen Leibe die bittersten Erfahrungen gemacht. 
Ob die jetzt vom Reichsjustizamt einberufene zweite Kommission den 
Klassencharakter des Entwurfs ändern wird, steht dahin, ist im Grunde ge 
nommen auch ganz gleichgültig. Denn die Arbeiten aller dieser Kommissionen 
sind ja nichts anderes als ein mehr oder minder wertvolles Gutachten. Das 
letzte entscheidende Wort hat der Deutsche Reichstag. In seinem soeben er 
schienenen Vorwort zu der Neuauflage der berühmten Schrift von Marx: „Die 
Klassenkämpfe in Frankreich" sagt Bebel von den heute herrschenden Klassen: 
„Im Bewußtsein ihrer Ohnmacht ist die Gewalt der einzige Faktor, zu dem 
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