Full text: Das Koalitionsrecht in Deutschland und der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch

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gericht, der Arbeiter sei allerdings an sich rechtlich nicht behindert, das An 
gebot seiner Arbeitsleistung an willkürliche Bedingungen zu knüpfen, jedoch 
dürfe sich dies Verlangen nicht bis zur Ausübung eines Willenszwanges 
auswachsen. Das aber sei in dem in Rede stehenden Falle geschehen. Denn 
hier seien die Arbeiter erstens mit einer einseitigen Forderung hervor 
getreten und zweitens hätten sie dies in höhnischer und d r e i st e r Weise 
getam Das sind — so unglaublich es klingt — die einzigen beiden Merk 
male, die dafür maßgebend sein sollen, ob eine erlaubte, das Wesen des Zu 
sammenlebens von Menschen ausmachende Handlung oder ein schändliches, 
infamierendes Delikt vorliegt. Die Arbeiter, so sagt das Reichsgericht, hätten 
eine einseitige Forderung gestellt. Schade nur, daß das Reichsgericht 
nicht angibt, welchen Weg die Arbeiter sonst hätten einschlagen sollen. Daß 
eine Partei nicht einseitige Forderungen stellt, sondern gleichzeitig auch 
die der Gegenpartei mit stellt, dürfte ein Kunststück sein, das bisher 
noch niemand fertig gebracht hat. Das erste vom Reichsgericht aufgestellte 
Kriterium ist also nichts weiter als eine jeden klaren Sinnes entbehrende 
Redewendung. Es bleiben übrig die höhnischen und drei st en Mie 
nen, die die Arbeiter bei ihren Verhandlungen mit dem Unternehmer auf 
gesetzt haben. Vielleicht gibt diese Ausführung des Reichsgerichts den Gewerk 
schaften Veranlassung, ihren Mitgliedern bei einem ausgedienten Diplomaten 
oder einer Brettldiva Unterricht erteilen zu lassen, damit sie erfahren, wie 
man stets freundlich lächeln kann. Bergwerk oder Fabrik dürften 
nicht die geeigneten Orte sein, einen liebenswürdigen Gesichtsausdruck zu 
erlernen. Möglicherweise gibt aber auch das Reichsgericht seinen Standpunkt 
noch einmal auf, wenn es sich an des großen Shakespeare Wort erinnert, daß 
einer lächeln kann und immer lächeln und doch ein Schurke 
sein. — Seit dieser Entscheidung hat die Anwendung des Erpressungspara 
graphen aus Anlaß von Lohnkämpfen eine ungeheure Ausdehnung erfahren 
und die Ausübung des Koalitionsrechts im Deutschen Reiche ernstlich in Frage 
gestellt. Die Rechtsprechung ist auch dadurch nicht wankend geworden, daß in 
den Entscheidungen des Reichsgerichts manchmal ein ganz anderer Wind 
weht, wenn den Gegenstand der Aburteilung das Verhalten der Unter 
nehmer bildet. Wird den Arbeitern auf das strengste die Ausübung 
des Willenszwanges durch Drohung untersagt, so heißt es in einer 
Entscheidung, in der die Arbeiter Schadenersatzansprüche gegen den Arbeit 
geber wegen Vernichtung ihrer Existenz durch Aufnahme in die schwarze 
Liste geltend machten, wörtlich:*) „Die in den heutigen gewerblichen Lohn 
kämpfen von der einen wie von der anderen Seite zur Anwendung gebrachten 
Maßregeln, wie Streik und Aussperrung, werden gewöhnlich die Bedeu 
tung eines auf den anderen Teil geübten Druckes oder Willenszwanges 
haben, ohne daß man deshalb solchen Maßregeln immer den Charakter einer 
sittlich verwerflichen Handlung beilegen dürfe." Die Klage der Arbeiter 
wurde deshalb abgewiesen. Daß die beiden Gruppen der besprochenen Ent 
scheidungen den strikt entgegengesetzten Standpunkt vertreten, kann 
gar nicht bestritten werden. In dem einen Falle genügt die Ausübung eines 
WillenSzwanges auf den Arbeit g e b e r > um den Arbeiter wegen 
Erpressung mit schwerer Freiheitsstrafe zu belegen. In dem anderen Falle 
können die Arbeiter mit Erfolg nicht einmal den rein zivilrechtlichen An 
spruch einer Zurücknahme der Verrufserklärung durchsetzen, da das freie 
Spiel der wirtschaftlichen Kräfte die Anwendung eines Druckes und 
Willenszwanges unentbehrlich macht. 
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*) Entsch. in Zivilsachen Bd. öl S. 384.
	        
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