Full text: Das Koalitionsrecht in Deutschland und der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch

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Eckstein unserer ganzen Strafgesetzgebung bildet der Z 2 des Strafgesetzbuches, 
der den bereits durch die Verfassungsurkunden gewährleisteten, das Fundament 
der bürgerlichen Freiheit bildenden Grundsatz wiedergibt: „Keine Strafe ohne 
Gesetz." WaS aber nützt diese Vorschrift noch, wenn niemand, auch der vor 
sichtigste und rechtlichst denkende Mann nicht, vorhersagen kaun, wie das 
Gesetz ausgelegt werden wird, wenn ein so unsicheres und schwankendes Kri 
terium, wie der Begriff des angemessenen Lohnes, über Ehre und Freiheit ent 
scheidet, — ein Kriterium, bei dem augenblickliche Stimmungen des Richters, 
Standes- und Partcianschauungen und Parteivorurtcile eine Rolle spielen 
müssen. 
Auch sollte die Regierung ernstlich bedenken, in welche Situation sie ihre 
Richter bringt, wenn sie sie mitten hinein in das Getriebe wirtschaftlicher oder 
politischer Parteien zerrt, wenn sie sie zwingt, in wirtschaftlich erregten Zeiten 
zu den gerade schwebenden sozialpolitischen Problemen über Lohnhöhe, Arbeits 
zeit usw. Stellung zu nehmen und danach ihren Spruch zu bemessen. Muh 
da nicht jede Verurteilung als politischer Akt, als Vergewaltigung, nicht aber 
mehr als Rechtsprechung erscheinen? Faßt aber ein solcher Verdacht erst 
in weiten Kreisen der Bevölkerung Wurzel, dann ist es mit der Wirkung der 
Strafjustiz und der Justiz überhaupt zu Ende. 
Endlich erwäge man die ungeheuren strafrechtlichen Folgen, die 
von der Entscheidung der rein dem Z i v i l r e ch t angchörigen Frage abhängen, 
ob der geforderte Lohn dem Richter angemessen oder zu hoch erscheint. Der 
Entwurf läßt das Zuchthausgesetz unseligen Bedenkens wieder aufleben, er 
will die Erpressung in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus 
bis zu 5 Jahren bestrafen. WaS ein besonders schwerer Fall ist, sagt der 
Entwurf nicht. Wie er fast durchweg nichts anderes ist, als ein in Para 
graphenform gegossener Kautschuk, so stellt er auch hier nicht bestimmte er- 
schlvercnde Umstände ausdrücklich als qualifizierten Tatbestand auf, er ermäch 
tigt vielmehr den Richter, die besonders schweren Fälle selbst zu finden und 
gibt ihm bloß den ganz vagen und verschwommenen Gesichtspunkt an die Hand: 
„Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn die rechtswidrigen Folgen der 
Tat ungewöhnlich bedeutend sind und der verbrecherische Wille des Täters un 
gewöhnlich stark und verwerflich erscheint." Man sieht, cs ist alles der 
Willkür des Gerichts überlassen. Dieses macht hier selbst das Gesetz. Es 
gibt keine feste Norm, an die der Richter sich zu halten gesetzlich verpflichtet 
ist. Spricht aber das Gericht selbst nun eine Gefängnis strafe aus, so kann 
neben der Strafe auf Unterbringung des Verurteilten in ein Arbeitshaus 
bis zu 3 Jahren erkannt werden, wenn die Tat auf Arbeitsscheu zurückzuführen 
ist, — eine Maßregel, die für streikende Arbeiter wie gemacht erscheint. Wie 
oft müssen wir zähneknirschend die von vollendeter sozialpolitischer Verständnis- 
und Empfindungslosigkeit zeugende Bemerkung in den Urteilsbegründungen 
unserer Gerichte hören, strafschärfend sei zu berücksichtigen, daß die Streiken 
den die Arbeitswilligen an ihrer redlichen Arbeit Andern wollten. Von 
diesem Gedankengang der redlichen Arbeit der Arbeitswilligen bis 
zur Annahme der Arbeitsscheu auf Seite der Streikenden ist nur e i n 
Schritt. 
Wir erhalten also das Ergebnis: Koalierte Arbeiter, die Lohnaufbesse 
rungen verlangen oder gegen Lohnherabsetzungen protc«ifercn und erklären, 
anderenfalls von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machen zu wollen, können 
ins Gefängnis und daneben auf 3 Jahre ins Arbeitshaus, ja sogar 
ins Zuchthaus bis zu 5 Jahren gesteckt werden, sobald der Richter den ge 
forderten Lohn für zu hoch erachtet. Als Extrazulage können sie außerdem 
noch hartes Lager und g e m i n d c r t e Kost erhalten — Roheiten,
	        
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