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Die Generalkommission wurde beim Eisenbahnminister vorstellig, die auf die
Schnellzüge angewiesenen Gewerkschaftsangestellten von der Zahlung der Zuschläge
zu befreien. Die gleiche Vergünstigung ist für die Rüstungsarbeiter und Rekla
mierten nachgesucht worden. Diesen überhaupt freie Fahrt zu gewähren, ist schon
früher im Reichstag vergeblich beantragt. Wegen der Behandlung der Re
klamierten und ihrer Stellung innerhalb des Hilfsdieustgesehes haben Ver
handlungen der Vertreter aller Gewerkschaftsrichtungen mit dem Kriegsamt statt
gefunden. Bei diesen Verhandlungen verlangten die Gewerkschaftsvertreter, daß, wenn
die Reklamierten weiter in ihrer Freizügigkeit beschränkt würden, die Unternehmer
schärfer angefaßt werden müßten. Es müßte ihnen das Recht genommen werden,
Reklamierte während der Zurückstellungssrist eigenmächtig zu entlassen. Im Streit
fälle solle der Schlichtungsausschuß entscheiden, ob der Mann zu entlassen ist. . Damit
solle die Verfügungsgewalt des Unternehmertums über den Arbeiter wesentlich ein
geschränkt werden. Außerdem' wurde eine schärfere Kontrolle über die Entlohnung
der Reklamierten verlangt. Die Schlichtungsausschüsse sollten das Recht haben, den
Unternehmer zur Zahlung eines bestimmten Lohnes zu verpflichten. Der Rekla
mierte dürfe nicht geringer entlohnt werden als jeder andere Arbeiter des Betriebes.
Das Kriegsamt ging auf diese Anregungen ein, doch sind die entsprechenden Maß
nahmen offenbar an dem Widerstand der Unternehmer gescheitert.
Bauer schilderte die Anstrenguugen gewisser Kreise nach dem Abgang von
Bethmann Hollweg und Grüner, alle Arbeiter der Wehrpflicht zu unterwerfen. Es
ist geglückt, diese Strömungen zum Scheitern zu bringen.
Die Befürchtung eines Generalstreiks zum 15. August, veranlaßt durch „Unver
antwortliche", führte zur Beschränkung des Vereins- und Versammlungs-
rechts. Durch die Verhandlungen wurde eine Besserung insofern erreicht, als den
Gewerkschaften gestattet sein soll, Mitgliederversammlungen abzuhalten.
Von öffentlichen Versammlungen will man in vielen Bezirken nichts wissen. Eine
Anmeldepflicht von 48 Stunden könne man sich noch gefallen lassen, aber eine Frist
von zehn Tagen ist einfach unmöglich. In den nächsten Tagen soll eine Verhandlung
mit dem neuen Reichskanzler herbeigeführt werden.
Wie mißliebig das H i l f s d i e n st g e s e tz von den Unternehmern empfunden
wird, hat deren Tagung in Nürnberg gezeigt. Unsere Erfahrungen mit diesem
Gesetz und der wütende Ansturm der Unternehmer dagegen beweisen immer mehr,
daß wir auf dem richtigen Wege waren, als wir uns für das Hilfsdienstgesctz er
klärten. Es ist kein Zufall, daß seit Bestehen dieses Gesetzes die Aufwärtsentwicklung
bei der großen Mehrzahl unserer Organisationen wieder eingesetzt hat. Einige
Vorstände haben ausdrücklich bestätigt, daß das Hilfsdienstgesetz die Veranlassung
zu dem Anwachsen der Organisation gegeben hat. Bei den Verhandlungen im
Reichstag vor einigen Tagen ergab sich, daß die maßgebenden -Stellen endgültig davon
abgesehen haben, eine Verschlechterung des Gesetzes zu versuchen. Das Gesetz soll
weder auf die Frauen ausgedehnt werden noch auf Personen unter 17 Jahren, wie
es von gewisser Seite geplant war. Inzwischen sind zwar verschärfte Melde-
vorschriften ergangen, doch bedeuten diese keine Änderung des Gesetzes, vielniehr
sollen sie bewirken, die Arbeitskräfte in nicht kriegswirtschaftlichen Betrieben zu
erfassen. Für die Arbeiterausschüsse wurden einheitliche Grundsätze aufgestellt. Ent
gegen einer Reihe von Landesverordnungen, wonach der Arbeiterausschuß lediglich
unter Vorsitz eines Arbeitgebers zusammenkommen dürfe, wurde bestimmt, daß jeder
Arbeiterausschuß aus seiner Mitte einen Obmann zu wählen hat und Sonder
sitzungen abhalten kann. In diesen Grundsätzen sind außerdem noch eine Reihe
wichtiger Bestimmungen enthalten..
Die Schlichtungsstellen sollen nach dem Hilfsdienstgesetz in der Regel für den
Bezirk einer unteren Verwaltungsbehörde eingerichtet werden. Die Ausnahme von
dieser Regel, die die Reichsmarinebehörde für die Werftbetricbc machte, indem sie
für jeden Betrieb eine Schlichtungsstelle einrichtete, könnte dazu führen, daß mit
demselben Recht auch für jeden Privatbetrieb ein besonderer Schlichtungsausschuß
gefordert wird. Erst nach sehr langen Debatten wurde der Auffassung Geltung der-