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die zunehmende Konzentration des Betriebes, wie sie in der Industrie, über auch
im Handel stattfindet, muß schließlich dahin führen, das Wachsthum der Nach
frage nach Angestellten immer mehr ins Stocken zu bringen. In Amerika haben
die Trusts heute schon vielfach zu einer Verminderung des verwaltenden und
kaufmännisch thätigen Personals geführt.
Je stärker das Angebot im Verhältniß zur Nachfrage, desto geringer die
Löhne, desto geringer auch der Unterschied in der gesellschaftlichen Stellung zwischen
den Angestellten und den Lohnarbeitern. Eine ihrer Schichten nach der andern
wird proletarisiert. Der „neue Mittelstand" spaltet sich immer mehr in zwei
Gruppen, von denen die eine die höheren, die besser bezahlten, herrschenden
Stellungen einnimmt und die Interessen des Kapitals vertritt; und danebett eine
zweite, stetig wachsende, die mit dem Proletariat gemeinsame Sache macht.
Freilich, viel zu seinem Befreiungskampf kann sie nicht beitragen. Einzelne
ihrer Mitglieder können dem kämpfenden Proletariat durch ihre geistigen Fähig
keiten und ihr größeres Wissen wichtige Dienste leisten. Im Allgemeinen aber
sind die Mitglieder dieses neuen Mittelstandes in so abhängiger Stellung, daß
sie sich weriiger wehren können, als die eigentlichen Lohnarbeiter.
Immerhin, nichts ist irriger und thörichter, als den neuen Mittelstand auf diü
gleiche Stufe mit dem alten zu setzen. Er bildet keine Stütze des Privat
eigenthums an den Produktionsmitteln. Je mehr er an Stelle des alten Mittel
standes tritt, desto schwankender die Grundlage, auf der das Privateigenthuin
beruht.
Daran werden alle Bürger mit ihren Rechenkünsten nichts ändern, auch
wenn sie ihren Wahrheitsfanatismus so weit treiben, die Wahrheit auf den
Kopf zu stellen.
II. Die Verelendung.
a) Die sozialistische Hehre.
Nachdem Bürger versucht, die Ausführungen des sozialdemokratischen Pro
gramms über den Untergang des Kleinbetriebes zu widerlegen, wendet er sich
jenen Sätzen zu, die von der Zunahme der Unsicherheit der Existenz, des
Elends, des Druckes, der Knechtung, der Erniedrigung, der Ausbeutung, sprechen.
Und er führt nun wissenschaft-statistisches Material zum Beweis dafür an, daß
die Löhne gestiegen sind, Gesundheit und Lebensdauer zugenommen haben, die
Sittlichkeit und Zufriedenheit gewachsen sind, die Unsicherheit der Lage des
Arbeiters eine geringere geworden ist.
Wir brauchten auf alle diese Ziffern nicht einzugehen, denn selbst wenn sie
alle richtig wären und das bewiesen, was Bürger mit ihnen beweisen will, ständen
sie nicht im Widerspruch zum Programm der Sozialdemokratie und widerlegten
es nicht.
Ueber die sogenannte Vcrelcndungsthcorie ist in den letzten Jahren viel
geschrieben worden. Aber Herr Bürger zeigt, daß es noch immer Leute giebt,
die nicht begreifen, was das Programm der Sozialdemokratie in Wirklichkeit
darüber sagt. Freilich, wenn man will, dann kann man es so auslegen,
als ob die Sozialdemokratie behauptete, das Elend müsse naturnothwendig
wachsen, seine Zunahme sei unaufhaltsam und der Sieg des Sozialismus sei
um so näher, je größer das Elend.
Daß aber diese Auslegung eine falsche ist und nicht den Gedankengang der
Sozialdemokratie wicdergiebt, beweist schon der Umstand, daß dasselbe Programm,
tvelches den Satz vom wachsenden Elend enthält, eine Reihe von Forderungen
an dje gegenwärtige Gesellschaft zur Verbesserung der Lage des Proletariats auf»