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Die Sterblichkeit bei den Jndustricproletariern ist also in dein Alter von
16 bis 25 Jahren mehr als doppelt, fast dreimal so groß als bei
Len Landwirthen aus den besitzenden Klassen. Welch' bekömmliche soziale Ein
richtung!
Herkner führt noch Daten aus der Schweiz an, die die gleiche Erscheinung
Knzeigeu, und bemerkt dazu: „Diese aus der Schweiz und England stammenden
Ziffern verdienen umsoinehr volle Beachtung, als sie nicht aus der Sturm- und
Drangperiode des Kapitalismus herrühren, sondern Zustände beleuchten, die
bereits durch ge!verbehygienische Maßregeln und sozialpolitische Gesetze beein
flußt worden sind."'
Daß sie auch von Bürger Beachtung finden, ist allerdings nicht zu erivarten.
Sie könnten seiner „Wahrheitsliebe" zu unbequem werden.
Wenn aber die Fortschritte der Hygiene und die Verbesserung der Arbeits
bedingungen mancher Prolctarierschichten die Sterblichkeit eingeschränkt haben,
so ist damit der Kampf ums Dasein nicht leichter geworden. Viele Arbeiter
schichten sind noch in tiefstem Elend, viele Kleinbürger versinken im Elend, und
selbst für die Kapitalisten tobt der Konkurrenzkampf immer stärker. Wenn die
ärztliche Kunst cs heute vermag, die Leute länger am Leben zu erhalten, so
vermag sie es doch nicht, ihre Nerven inmitten des tollen Wirbels der „gegen
wärtigen sozialen Einrichtung" gesund zu erhalten. Die Zahl der Nerven
krankheiten, die den Menschen nicht rasch todten, dafür aber sein Dasein ver
giften, wächst von Jahr zu Jahr. Ein Anzeichen davon giebt die Statistik der
I r r s i n n s f ä l l e.
In Kreutzen zählte man auf 100 000 Anwesende
1871 1880 1895
Geisteskranke .... 223 243 260
Wie in der Zunahme der Geisteskrankheiten zeigt sich auch die
Bekömmlichkeit der „gegenwärtigen sozialen Einrichtung" in der der Selbst
morde.
Bürger erzählt freilich:
„Die Selbstmorde sind bei uns in langsamem Rückgang: im Deutschen Reich
starben durch Selbstmord auf eine Million Einwohner:
1881—90 1891—93 1894 1895 1898 1897 1893 1899
209 212 217 202 206 206 199 195."
Schon diese Zahlen sind sehr merkwürdig. Sie bezeugen ein stetiges
Anwachsen der Ziffer der Selbstmorde von 1881 bis 1894 (von 209 auf
L17). Erst seit dem Beginn des Wirth sch aftlichen Auf
schwunges 1895 beginnt der Rückgang der Zahl der Selbstmorde — ein
deutlicher Beweis dafür, wie eng sie mit unseren wirthschaftlichen Verhältnissen
zusammenhängen, wie viele sich verhindern ließen, wenn unsere sozialen Zustände
befriedigend wären. Das beweisen diese Zahlen, sonst nichts. Herr Bürger
mühte uns denn davon überzeugen, daß eine Aera stets wachsender Prosperität,
Wie sie von 1895 bis 1899 herrschte, einen dauernden Zustand in der kapita
listischen Produktionsweise bilde und nicht einen kurzen Rausch, dem leider stets
ein gewaltiger Katzenjammer folgt, die Krise.
Thatsächlich hat 1900 die Zahl der Selbstmorde pro 1 Million Einwohner
schon wieder 203 betragen, ist also gegen 1899 (105) schon wieder gewaltig ge
stiegen. Und das war erst der Ansang der Krise«