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Mauer des Friedhofes, an welche die Häuser dieser Seite
mit ihren engen, verpesteten Höfen stoßen. Cr mußte
bereits am Tage hier sich die paffende Stelle ausgesucht
haben, denn bald fand er in einem dunklen, von keinem
Lichtstrahl erhellten Winkel einen Haufen Schutt und
Steine auf, der bis zur halben Höhe der Mauer reichte,
befestigte an einem Valken einen mit Knoten versehenen
Strick, deffen anderes Ende er über die Mauer warf, und,
nachdem er seinem Geführten noch einmal di? ernste Mah
nung des Schweigens und der Vorsicht zugeflüstert, stieg
er auf die Mauer, über deren mit Glasscherben geschützte
Krone er vorsichtig seinen Mantel warf, und ließ sich
auf der andern Seite auf das wirre Gestrüpp der Gräber
niedergleiten.
Mit gleicher Stille und Vorsicht, ohne verschiedener
Verletzungen an den scharfen Glaskanten zu achten, folgte
ihnr der Gelehrte. Dann orientierte sich Lasali an den
am Nachthimmel sich abzeichnenden Giebeln der Häuser
über die Stelle, an welcher sie übergestiegen waren, und
deutete seinem Gefährten an, ihm auf Händen und Füßen
über die eingesunkenen Gräber und Grabsteine kriechend
mehr nach der Mitte des Kirchhofs zu folgen.
Eben schlug die Uhr des Ratsturmes die elfte
Stunde, und mit dem ersten Schlag hörten beide den
Schlüffe! in der Pforte knirschen.
Eine tiefe Stille folgte diesem Ton, der bewies, daß
der Kirchhof geöffnet worden. So angestrengt sie auch
lauschten, sie hörten niemanden eintreten.
Die beiden befanden sich jetzt dicht nebeneinander
auf den Boden gekauert in der Vertiefung zwischen zwei
Grabsteinen, die eine Dornenhecke überwucherte, in der
Nähe des Steinhügels, welcher das Grab des Rabbi Si
meon Ben Iehuda bildet. In den Iudenhäusern um den
Friedhof begannen die Lichter zu erlöschen, alle Töne des
Festes zu verstummen.