Auf dem Judenkirchhof in Prag
ist ein merkwürdiges Gewirr von krummen, wink-
ligen und engen Gaffen, das in der Nähe des alten
Prager Ringes, der so manche blutige und wichtige
Episode der böhmischen und deutschen beschichte gesehen
hat, die sogenannte Judenstadt von Prag bildet.
Zn diese schmutzigen engen Gassen, die meist keinen
Namen führen, und deren Labyrinth nur den Bewoh
nern selbst genau bekannt ist, münden nicht Türen und
.Hausfluren, sondern finstere höhlen, die niemals das
Tageslicht erhellt — schwarze Schlünde, die ein Geschlecht
von schachernden, feilschenden, zeternden Männern,
Frauen und Kindern ausspeien, das in den verkommenen
schmutzigen Raumen lebt, zusammenscharrt und stirbt,
und während des Tages mit dem seltsamsten Kram die
engen Gaffen füllt, wenn es nicht in der Stadt der Chri
sten umherstreist, um dort seinen Handel und Wucher zu
treiben. Prag rst die einzige Stadt in Deutschland, wo
das Judentum in Sitten und Wohnung noch ganz abge-
schloffen von der Nation lebt,') deren Namen es als all
gemeine Finna angenommen hat, um die Vorteile der
staatlichen Gesellschaft dem eigenen Vorteil dienstbar zu
machen.
Was der Tändclmarkt in Wien, der Temple in
Paris, das ist zugleich die Iudenstadt in Prag. Unter
') Gemeint ist die Zeit um 1860.