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Führung zu überlassen und keine eitlen Wünsche
mehr zu hegen.
Er war dann Hauslehrer bei einem gewissen
Herrn Hartkop. Dort wurde er aber so hart be
handelt und verleumdet, daß er eines Tages die Flucht
ergriff (2. April 1762). Er wußte durchaus nicht,
wohin. Weit und breit kannte er keinen Menschen.
Darüber schreibt er:
Jetzt fing Stilling an und sagte bei sich selber:
„Nun bin ich auf den höchsten Gipfel der Verlassung
gestiegen. Es ist jetzt nichts mehr übrig als betteln
oder sterben. Das ist der erste Mittag in meinem
Leben, an welchem ich keinen Tisch für mich weiß.
Ja, die Stunde ist gekommen, da das große Wort des
Erlösers für mich auf der höchsten Probe steht: .Auch
ein Haar von eurem Haupte soll nicht umkommen'.
Ist das wahr, so muß mir schleunige Hilfe geschehen;
denn ich habe bis auf diesen Augenblick auf ihn ge
traut und seinem Worte geglaubt. Ich gehöre mit zu
den Augen, die auf den Herrn warten, daß er ihnen
zur rechten Zeit Speise gebe und sie mit Wohlgefallen
sättige. Ich bin doch so gut sein Geschöpf wie jeder
Vogel, der da in den Bäumen singt und jedesmal seine
Nahrung findet, wenn's ihm not tut". Stillings Herz
war bei diesen Worten so beschaffen, wie das Herz
eines Kindes, wenn es durch strenge Zucht endlich
wie Wachs zerfließt, der Vater sich wegwendet und
seine Tränen verbirgt. Was das Augenblicke sind,
wenn man sieht, wie der Vater der Menschen sich vor
Mitleiden nicht länger halten kann!
Indem er so dachte, ward cs ihm plötzlich, als wenn
ihm jemand zuspräche: „Geh' in die Stadt und such'