Gründe der Zurückhaltung der Hochseeflotte
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Russen von dein gleichen Verhalten abzuschrecken. Dafür
konnte auch der Minenkrieg gute Dienste leisten. Diese Ab
schreckungsversuche konnten aber nur so lange wirksam bleiben,
als wir noch eine überlegene Streitmacht gegen die Russen ein
zusetzen hatten. Diese Überlegenheit gaben wir aus der Hand,
wenn wir versuchten, den Kampf mit der englischen Flotte
unter ungünstigen Verhältnissen aufzusuchen, weil der Ausgang
zum mindesten zweifelhaft war. Bei der Bereitschaft der eng
lischen Flotte und ihrer überlegenen Stärke sprach die Wahr
scheinlichkeit eher für einen Mißerfolg, der für den Ausgang
des Krieges verhängnisvoll werden konnte.
War schon aus diesem Grunde Zurückhaltung geboten, so
fehlten uns im Anfang des Krieges auch alle sicheren Anhalts
punkte über den Aufenthalt der englischen Flotte, die wir für
unser Vorgehen erst aus dem Verhalten der Engländer ge
winnen konnten. Einem Angriff galt es um so mehr mit mög
lichster Stärke entgegenzutreten, als die Ungunst unserer Lage,
die sich aus den geographischen Verhältnissen des Nordsee-
Kriegsschauplatzes ergab, uns ohnehin schon in Nachteil setzte.
Unsere Nordsee-Stellung litt darunter, daß wir zum Ausgang
für alle Unternehmungen nur den einen Punkt im äußersten
Winkel der Nordsee nehmen konnten, der vor der Elbe- und
Wesermündung liegt. Von ihm aus allein konnte die Flotte
vorstoßen, und zu ihm mußte sie auch wieder zurückkehren, um
ihre Stützpunkte in den Mündungen der Jade und Elbe auf
zusuchen. Der Weg um Skagen und durch die Belte war uns
verschlossen, da die Dänen diese Fahrstraße durch Minen ge
sperrt hatten. Die Schenkel des „nassen Dreiecks", dessen
Spitze man sich bei Helgoland denken kann, enden im Norden
bei Sylt, im Westen bei der Emsmündung. Das Fahrwasser
der Ems grenzt mit seinem linken Ufer an neutrales, hollän
disches Gebiet. Alle Schiffsbewegungen dort können also ein
gesehen und die Beobachtungen in kürzester Zeit zur Kenntnis
des Feindes gebracht werden. Das Fahrwasser bei Sylt ist nur