Full text: Ausstellung für Gesundheitspflege Stuttgart 1914

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4- Vielleicht findet in einzelnen Fällen eine Übertragung der unter dem Ein 
fluß äußerer Umstände entstandenen Veränderungen auf das Keimplasma statt 
(Vererbung der im individuellen Leben erworbenen Eigenschaften, somatische 
Induktion, Lamarckismus). 
5. Von allen diesen Fällen ist die Schädigung der Keimzellen getrennt 
zu halten. Wenn in den Körper Gifte eingeführt werden, wie dies z. B. beim 
Alkoholismus oder bei chronischen Metallvergiftungen (z. B. Bleivergiftung) 
geschieht, so erfahren die Keimzellen eine direkte Schädigung, welche zwar die 
Vererbungsanlagen nicht verändert, aber zu abnormer oder unvollkommener 
Entwicklung führt. 
C. 
Vererbungsgesetze für den Menschen. Alle Anlagen beim Menschen, 
günstige und ungünstige, vererben sich nach den oben genannten Gesetzen der 
biologischen Vererbung. Talente und andere Fähigkeiten des Geistes vererben 
sich ebenso wie körperliche Fähigkeiten. Auch Krankheitsanlagen und Mißbil 
dungen unterliegen denselben Gesetzmäßigkeiten der Vererbung. 
Die erblichen Eigenschaften eines Menschen kombinieren sich aus den Eigen 
schaften der väterlichen und der mütterlichen Familie. Jeder Mensch hat Eigen 
schaften von beiden Eltern erhalten. Die Anlagen der Großeltern verteilen sich 
aber nicht gleichmäßig auf die Enkel (vgl. das oben genannte Gesetz der Reduktions 
teilung und das Mendelsche Gesetz), vielmehr erhalten die Enkelkinder die An 
lagen der Großeltern in verschiedenen Kombinationen. 
Männliche Eigenschaften können durch die Mutter vererbt werden und weib 
liche durch den Vater. Überhaupt können Anlagen auch durch solche Individuen 
weiter vererbt werden, an welchen sie nicht sichtbar oder erkennbar werden 
(scheinbares Überspringen einer Generation). 
Zur Beobachtung der Vererbung ist die Anlage von Familienstammbäumen 
zu empfehlen (mit Angabe der besonderen Neigungen und Fähigkeiten, der Krank 
heiten oder körperlichen Eigentümlichkeiten der Vorfahren und der Geschwister). 
Bei der Gattenwahl ist zu bedenken, daß sich bei den voraussichtlichen Nach 
kommen Eigenschaften der mütterlichen Familie mit denen der väterlichen Fa 
milie kombinieren werden, was in günstigem oder in ungünstigem Sinne wirken 
kann. Von der Heirat zwischen Verwandten, insbesondere Geschwisterkindern, 
ist abzuraten. 
Bei Familien, in welchen Geisteskrankheit, Idiotie oder körperliche Miß 
bildungen Vorkommen, sollte bei der Gattenwahl besondere Vorsicht geübt und 
ärztlicher Rat eingeholt werden. Bei unheilbaren Geisteskranken, Idioten, geistes 
kranken Verbrechern und Gewohnheitsverbrechern sollte der Staat durch dauernde 
Bewahrung oder andere Maßregeln die Fortpflanzung unmöglich machen, damit 
ihre schlechten Anlagen nicht weiter vererbt werden. Dasselbe wäre bei Säufern 
wünschenswert. Wegen der durch den Alkoholismus bewirkten Keimschädigung 
sind im übrigen die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs, die Einschränkung 
der Wirtschaftskonzessionen und geeignete sozialpolitische Maßnahmen zu 
empfehlen. 
Die Keimschädigung durch gewerbliche Gifte - ist durch gewerbehygienische 
Maßnahmen zu beseitigen.
	        
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