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4- Vielleicht findet in einzelnen Fällen eine Übertragung der unter dem Ein
fluß äußerer Umstände entstandenen Veränderungen auf das Keimplasma statt
(Vererbung der im individuellen Leben erworbenen Eigenschaften, somatische
Induktion, Lamarckismus).
5. Von allen diesen Fällen ist die Schädigung der Keimzellen getrennt
zu halten. Wenn in den Körper Gifte eingeführt werden, wie dies z. B. beim
Alkoholismus oder bei chronischen Metallvergiftungen (z. B. Bleivergiftung)
geschieht, so erfahren die Keimzellen eine direkte Schädigung, welche zwar die
Vererbungsanlagen nicht verändert, aber zu abnormer oder unvollkommener
Entwicklung führt.
C.
Vererbungsgesetze für den Menschen. Alle Anlagen beim Menschen,
günstige und ungünstige, vererben sich nach den oben genannten Gesetzen der
biologischen Vererbung. Talente und andere Fähigkeiten des Geistes vererben
sich ebenso wie körperliche Fähigkeiten. Auch Krankheitsanlagen und Mißbil
dungen unterliegen denselben Gesetzmäßigkeiten der Vererbung.
Die erblichen Eigenschaften eines Menschen kombinieren sich aus den Eigen
schaften der väterlichen und der mütterlichen Familie. Jeder Mensch hat Eigen
schaften von beiden Eltern erhalten. Die Anlagen der Großeltern verteilen sich
aber nicht gleichmäßig auf die Enkel (vgl. das oben genannte Gesetz der Reduktions
teilung und das Mendelsche Gesetz), vielmehr erhalten die Enkelkinder die An
lagen der Großeltern in verschiedenen Kombinationen.
Männliche Eigenschaften können durch die Mutter vererbt werden und weib
liche durch den Vater. Überhaupt können Anlagen auch durch solche Individuen
weiter vererbt werden, an welchen sie nicht sichtbar oder erkennbar werden
(scheinbares Überspringen einer Generation).
Zur Beobachtung der Vererbung ist die Anlage von Familienstammbäumen
zu empfehlen (mit Angabe der besonderen Neigungen und Fähigkeiten, der Krank
heiten oder körperlichen Eigentümlichkeiten der Vorfahren und der Geschwister).
Bei der Gattenwahl ist zu bedenken, daß sich bei den voraussichtlichen Nach
kommen Eigenschaften der mütterlichen Familie mit denen der väterlichen Fa
milie kombinieren werden, was in günstigem oder in ungünstigem Sinne wirken
kann. Von der Heirat zwischen Verwandten, insbesondere Geschwisterkindern,
ist abzuraten.
Bei Familien, in welchen Geisteskrankheit, Idiotie oder körperliche Miß
bildungen Vorkommen, sollte bei der Gattenwahl besondere Vorsicht geübt und
ärztlicher Rat eingeholt werden. Bei unheilbaren Geisteskranken, Idioten, geistes
kranken Verbrechern und Gewohnheitsverbrechern sollte der Staat durch dauernde
Bewahrung oder andere Maßregeln die Fortpflanzung unmöglich machen, damit
ihre schlechten Anlagen nicht weiter vererbt werden. Dasselbe wäre bei Säufern
wünschenswert. Wegen der durch den Alkoholismus bewirkten Keimschädigung
sind im übrigen die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs, die Einschränkung
der Wirtschaftskonzessionen und geeignete sozialpolitische Maßnahmen zu
empfehlen.
Die Keimschädigung durch gewerbliche Gifte - ist durch gewerbehygienische
Maßnahmen zu beseitigen.