194 III. Buch. III. Abschn. Besond. Ausbild. d. Naturr. iu d. ent;. Systemen.
Der Inbegriff dieser Denkformen und Gesetze ist die Vernunft.
— Es frugt sich nun, ob die Vernunft, ohne welche wir keine
Erfahrung machen können, auch im Stande sey, uns ohne Er
fahrung (a priori) Erkenntnisse zu gewähren. Und zwar ist
nicht von solchen Erkenntnissen die Diebe, welche nichts enthalten
als was Vernunft unmittelbar selbst ist, eine bloße Ausbreitung
dessen, was in dem Wesen jener Formen liegt (analytische Er
kenntnisse), z. B. daß die Ursache der Wirkung vorhergeht, was
ja eben der Begriff der Ursache aussagt. Sondern es handelt
sich um die Erkenntniß von Gegenständen außer ihren eignen
Formen (synthetische Erkenntnisse), z. B. Gott, Unsterblichkeit:
„sind synthetische Urtheile a priori möglich?" — Es ist dieses
die Frage, welche sich die Vernunftphilosoyhie nothwendig aus
werfen mußte, wenn sie zu ihrem Bewußtseyn gelangte, ja in
der eben ihre Bewußtheit besteht. Das Resultat der Unter
suchung ist bei Kant: Wir haben keine reine Vernunfter
kenntniß (keine synthetischen Urtheile a priori). Denn die Ver
nunft gewährt nur die Form der Erkenntniß, die Materie kommt
uns durch die Erfahrung, d. i. mittelst des Eindrucks äußerer
Gegenstände auf unsere Sinne. Erst beide Faktoren zusammen
geben eine Erkenntniß. So z. B. ist der reine Vernunftsatz:
„alles was geschieht hat seine Ursache" noch keine Erkenntniß;
dazu daß er Erkenntniß werde, gehört erst noch ein bestimmtes
Geschehendes und ein Bestimmtes, das seine Ursache ist, und
dieses bietet nur die Erfahrung. Alle unsere Erkenntniß ist deßhalb
Erfahrungserkenntniß, und jenseits möglicher Erfahrung, sohin
von übersinnlichen Dingen, die nie auf unsere Sinne wirken
(Gott, Freiheit), können wir überhaupt keine Erkenntniß haben.
Aber noch mehr als das! Auch diese unsere wirkliche Erkenntniß,
also die Erfahrungserkenntniß, ist unwahr; denn wir erhalten
sie nur durch das Medium unserer beiden sinnlichen Anschauungen