Full text: Grundriss der psychiatrischen Diagnostik

Psychopathie und Degeneration. 137 
Charakteristisch sind mürrische Verstimmung, Wehleidigkeit, 
Willensschwäche, völlige Arbeitsunlust. Vielfach bestehen Klagen 
über Gedächtnisschwund und Denkerschwerung, doch ergibt die 
Prüfung, dass es sich nur um subjektive Insuffizienzgefühle und 
ungenügende Willensanstrengung handelt (psychogene Pseudo 
demenz). Hinzu treten zahlreiche quälende Körperempfindungen, 
namentlich Kopfschmerz, Schwindel, Herzklopfen, Mattigkeit usw. 
Fast stets ist der Schlaf gestört. 
Prognose: Sehr schleppender Verlauf und häufiges Aus 
bleiben der Heilung, sofern nicht durch Kapitalabfindung der 
krankheitsfördernde Wunsch nach Rente ausgeschaltet wird. 
Als Schreckneurose lassen sich von der Unfallneurose 
die krankhaften Reaktionen auf Einsetzen schwerer Katastrophen 
wie Erdbeben, Grubenunglück und dergl. abtrennen: Stuporöse 
Hemmungen, Delirien, Erregungszustände sind beobachtet. Während 
eine Hysterie auch nach Schreck ihre eigenen Symptome hervor 
bringt, handelt es sich hier sozusagen um normale Reaktion auf 
übermächtige schreckhafte Erlebnisse. 
3. Psychopathie und Degeneration. 
Bei abnormer (psychopathischer) Veranlagung findet sieh 
der degenerative Charakter: Mangel an Stetigkeit (In 
stabilität), jäher Wechsel der Stimmungen, auch Aufeinander 
folge von Zeiten der Verzagtheit und der Unternehmungslust, 
Anfälle endogener Nervosität, (die mehr periodische Cyclo- 
thymie gehört schon zum manisch-depressiven Irresein S. 131), 
Unfähigkeit Mass zu halten oder Ausdauer zu zeigen, Un 
berechenbarkeit, Ueberwuchern der Phantasie, starkeUngleich- 
mässigkeit der Befähigungen, eventuell Intoleranz gegen Al 
kohol. Der degenerative Charakter deckt sich zum grossen 
Teil mit dem hysterischen, siehe S. 133. Vielfach finden 
sich körperliche Entartungszeichen (siehe S. 17). 
Solche geistig minderwertigen Personen, die meist hereditäre 
Belastung aufweisen, stehen dauernd an der Grenze des Normalen, 
neigen zu Suchten (Alkohol- und Morphiummissbrauch) und sexu 
ellen Perversitäten, Zwangsvorstellungen (S. 107), widersinnigen 
Antrieben, denen sie haltlos naehgeben (impulsives Irresein: 
Kleptomanie, Pyromanie, Mordmanie, Sammelwut usw.), auch 
zu überwertigen Ideen (S. 104), und können sehr leicht infolge 
äusserer Schädlichkeiten, besonders psychischer Erregungen (Unter 
suchungshaft!), an vorübergehenden (degenerativen) Psychosen er 
kranken. Unter Verbrechern sind zahlreiche Psychopathen mit 
hysterischer Reaktionsweise. Derartige Psychosen, wenn sie nach 
Verhaftung oder Verurteilung ausbrechen, oft mit Uebertreibung 
gemischt, erscheinen aus der Situation geboren und verschwinden 
mit ihr: Situationspsychosen. Bald stellen sich diese dar
	        
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