Was wir als Kinder aus dem Munde der Eltern und
Lehrer über die Erlösung hörten, das nahmen nur einfältig
glaubend in unsere Herzen auf. Wir vertrauten auf Gvtt,
und die Person des Heilandes, des Schönsten unter den
Menschenkindern, war uns lieb und theuer. Doch nicht ans
glattem, ebenem Wege vollzog sich der Uebergang vom kind
lichen zum selbstständig männlichen Glauben. Das Wesen
der Sünde mußten wir durch eigene, schmerzliche Erfahrung
an uns selbst kennen lernen. Wie erschien uns der Kampf
mit derselben so aussichtslos, das Ausbauen der eigenen
Gerechtigkeit so vergeblich! Wohl war das Heil uns nahe,
aber wir sahen es nicht; unsre Hände konnten es nicht fassen.
Und wenn dann die Sehnsucht nach der Seligkeit in uns recht
stark war, die Erfüllung uns aber fern deuchte; wenn Gvtt
uns unsre höchsten und heiligsten Wünsche zu versagen schien:
Haben wir dann nicht Stunden, ja Zeiten erlebt, in denen
wir trotzig gegen Gott murrten und ihm den Dienst auf
sagten, bis wir durch Zweifel und Mißtrauen hindurch zu
der Stunde gelangten, in der wir — gänzlich an uns ver
zagend — ausrufen lernten: „Ich elender Mensch, wer wird
mich erlösen!" und doch auch — gänzlich Gott vertrauend —
hinzu setzen konnten: „Wer >vill verdammen? Christus ist
hier! ?“ Nun glaubten wir wieder, aber der Glaube gründete
sich nicht mehr allein auf das Zeugniß Anderer; die wieder-
gewonnene Erkenntniß und der wiedererrungene Glaube waren
im höheren Sinne unser eigen und darum selbstständig, männ
lich, erprobt und bewährt.
Daß hiermit in der That der innere Entwicklungsgang
vieler Menschen angedeutet ist, möge uns ein Blick in das
Leben eines uns wohlbekannten Gottesmannes bestätigen.
Es ist ums Ende des 15. Jahrhunderts, da sehen wir
vor einem Hause in Eisenach singende Schüler. Einer unter
ihnen fällt lins ans; er singt. mit heller Stimme und mit
andächtigem Herzen. Auch die Hausbesitzerin hat ihn bemerkt,