meiner Jugend las ich eine Geschichte, welche von
einem Königssohne erzählt, der in frühester Kindheit von
Räubern entführt und in eine Höhle geschleppt worden war,
die, im tiefen Waldesdunkel verborgen, weder dem Lichte des
Mondes, noch den hellen Strahlen der Sonne Zugang ge
währte. Wie das Abendrots) vor der hereinbrechenden Nacht
erbleicht und verschwindet, so entwich aus der Seele des
Kindes die Erinnerung an die selige Jugendzeit vor den Ein
drücken roher Umgebung. Doch zuweilen geschah es, daß das
innere Auge des Knaben geöffnet wurde; in der Stille der
Nacht tauchten vor ihm auf: Herrliche Säle mit glänzenden
Kronleuchtern, Männer, die im Waffenschmuck prangten — und
ein liebliches Frauenantlitz schien sich segnend zu ihm herab
zuneigen. Jedes Mal, wenn der Knabe aus solchem Traume
erwachte, ■ füllten Thränen seine Augen; er fühlte sich elend
und verlassen, und eine unerklärliche Sehnsucht bewegte mäch
tig sein Herz.
Nieine verehrten Freunde! Der Knabe ist das Bild jedes
einzelnen Menschen! Oder wären in den Stunden, da die
Unruhe des weltlichen Treibens verstummt, ans der Tiefe
unserer Seele noch nie Bilder vor unser geistiges Auge ge
treten , welche von einer Seligkeit reden, die mit de» Zu
ständen, in denen wir leben, im Widerspruche steht? Und ist
dann nicht unser Herz von Sehnsucht nach dieser Seligkeit
wunderbar bewegt worden? Reden doch die tiefsten Denker und