Full text: Die Graslage in ihrer Beziehung zum Christenthum

meiner Jugend las ich eine Geschichte, welche von 
einem Königssohne erzählt, der in frühester Kindheit von 
Räubern entführt und in eine Höhle geschleppt worden war, 
die, im tiefen Waldesdunkel verborgen, weder dem Lichte des 
Mondes, noch den hellen Strahlen der Sonne Zugang ge 
währte. Wie das Abendrots) vor der hereinbrechenden Nacht 
erbleicht und verschwindet, so entwich aus der Seele des 
Kindes die Erinnerung an die selige Jugendzeit vor den Ein 
drücken roher Umgebung. Doch zuweilen geschah es, daß das 
innere Auge des Knaben geöffnet wurde; in der Stille der 
Nacht tauchten vor ihm auf: Herrliche Säle mit glänzenden 
Kronleuchtern, Männer, die im Waffenschmuck prangten — und 
ein liebliches Frauenantlitz schien sich segnend zu ihm herab 
zuneigen. Jedes Mal, wenn der Knabe aus solchem Traume 
erwachte, ■ füllten Thränen seine Augen; er fühlte sich elend 
und verlassen, und eine unerklärliche Sehnsucht bewegte mäch 
tig sein Herz. 
Nieine verehrten Freunde! Der Knabe ist das Bild jedes 
einzelnen Menschen! Oder wären in den Stunden, da die 
Unruhe des weltlichen Treibens verstummt, ans der Tiefe 
unserer Seele noch nie Bilder vor unser geistiges Auge ge 
treten , welche von einer Seligkeit reden, die mit de» Zu 
ständen, in denen wir leben, im Widerspruche steht? Und ist 
dann nicht unser Herz von Sehnsucht nach dieser Seligkeit 
wunderbar bewegt worden? Reden doch die tiefsten Denker und
	        
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