Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

88 1- Teil. 1. Buch. 4. Kap. Von den Leidenschaften (Gemütsbewegungen). 
und stumm. Plötzlicher Schrecken läßt das Blut in den Adern erstarren 
und ist imstande, in kurzer Zeit die Haare zu bleichen, ja sogar einen 
Menschen zu töten. Ist der Gegenstand der Furcht ein Übel, das uns 
wegen seiner Ungewöhnlichkeit groß erscheint, so empfinden wir Be 
stürzung. Tritt uns ein großes Übel vor die Seele, das in sich viel 
Ungewisses hat oder dessen Eintreten sich nicht sicher voraussehen läßt, 
so befällt uns Angst (Bangigkeit). 
III. Zorn. Der Zorn ist die Begierde nach Rache für ein 
uns (wirklich oder vermeintlich) zugefügtes Übel. Er sucht dem 
Urheber des Übels Gleiches mit Gleichem zu vergeltend Der Gegen 
stand des Zornes ist somit ein zusammengesetzter. Er besteht a) in dem 
erstrebten Übel, b) in dem Wesen, welchem dieses Übel zugefügt werden 
soll, um das von ihm erlittene Übel zu vergelten. Auch in den Tieren 
begegnet uns, wie die Erfahrung lehrt, die Leidenschaft des Zornes. 
Aber wie die meisten Leidenschaften im Menschen wegen ihrer Ver 
bindung mit der Vernunft vielgestaltiger sind, so auch der Zorn. 
Der Zorn des Tieres richtet sich immer gegen die unmittelbare 
Ursache des Übels. Der Hund beißt in den Stein, der nach ihm geworfen, 
oder in den Stock, mit dem er geschlagen wird. Ähnliches kann man 
an Menschen beobachten, welche vor Zorn die Besinnung verlieren. 
Galenus erzählt von einem Menschen, der vor Zorn schäumend in den 
Schlüssel biß, weil es ihm nicht gelang, damit eine Türe zu öffnen. 
Außerdem kann aber der Mensch noch aus andere Weise zürnen, weil 
er mit der Vernunft die ihm zugefügte Unbill zu erfassen vermag. 
Der aus dieser Kenntnis hervorgehende Zorn kehrt sich nie gegen 
gefühllose Wesen, weil wir wissen, daß sie weder das ihnen zugefügte 
Übel empfinden noch imstande sind, Unrecht zuzufügen". 
Unterarten des Zornes sind der Jähzorn, die Erbitterung 
und die Wut. Sie vermehren alle nach irgendeiner Richtung hin den 
Zorn, unterscheiden sich aber durch die verschiedene Weise, in der sie 
dies bewirken. Jähzorn ist der leicht und schnell auflodernde Zorn. 
Eine Schattierung des Jähzornigen ist der Mensch v o l l G a l l e (gallig), 
der leicht in bösartigen, schädlichen Zorn ausbricht und darin verharrt. 
1 Die hauptsächlichsten Äußerungen des Zornes sind die Erweiterung der seinen 
Blutgefäße und der vermehrte Blutzufluß zur Haut. Dem Zornigen steigt das Blut 
in den Kopf, es „kocht" in seinen Adern. Ferner zeigt sich bei ihm eine Erweiterung 
der großen Blutadern, „die Stirnadern schwellen". Vor allem aber ist beim Zor 
nigen eine heftige Erregung der willkürlichen Muskeln bemerklich. Er hat einen 
Drang zu raschen, kräftigen Bewegungen, er fährt auf, stampft, schreit, poltert, ballt 
die Fäuste, schlägt auf irgendeinen Gegenstand los, bloß um seine Muskeln zu ge 
brauchen. 
^ 8. Thom.. 8. tll. 1, 2, q. 46, a. 7 ad 1.
	        
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