Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

HO 1. Teil. 2. Buch. 1. Kap. Das höchste und letzte Ziel des Menschen. 
§ 2. Wie die Geschöpfe Gott verherrlichen sollen. 
Die Geschöpfe sollen Gott verherrlichen. Aber wie? 
1. DievernunftlosenGeschöpfe dadurch, daß sie durch ihre 
Vollkommenheit Gottes Größe offenbaren. Jedes Wesen soll zur Ver 
herrlichung des Schöpfers beitragen nach seiner Fähigkeit. Die vernunft- 
losen Geschöpfe können aber Gott nicht im eigentlichen Sinne huldigen, 
sondern bloß durch ihre Vollkommenheit den Vernunftwesen die Größe 
und Weisheit ihres Werkmeisters verkünden. Darin besteht also ihre 
höchste Ausgabe. 
Jede Wirkung ist irgendwie ihrer Ursache ähnlich\ so daß man 
aus der Beschaffenheit der Wirkung auf die Ursache schließen kann. Das 
Werk lobt seinen Meister. Gleichwie ein herrlicher Dom oder ein schönes 
Gemälde Zeugnis gibt von der Gewandtheit und Größe des Künstlers, 
so bekundet auch die sichtbare Schöpfung dem Menschen Gottes Größe 
und Herrlichkeit^. Ja mit viel mehr Recht als von dem menschlichen 
Kunstwerke auf den Meister können wir aus den Geschöpfen auf den 
Schöpfer schließen. Denn Gott ist, was beim menschlichen Künstler nicht 
zutrifft, nicht bloß bewirkende, sondern auch vorbildliche Ursache aller 
seiner Werke. Seine schöpferischen Ideen entnimmt er dem Urgrund 
alles Seins, seiner eigenen, unendlichen Wesenheit. Deshalb sind alle 
geschaffenen Dinge wahre, wenn auch schwache Abbilder oder Nach 
ahmungen seiner göttlichen Wesenheit, gewissermaßen verwirklichte 
Gedanken Gottes. Weil aber Gott unendlich vollkommen ist und die 
einzelnen Geschöpfe nur die eine oder andere seiner Vollkommenheit dar 
zustellen vermögen, so hat Gott eine große Mannigfaltigkeit von Dingen 
hervorgebracht, von denen jedes das göttliche Urbild unter einer andern 
Rücksicht widerspiegelt. Wie der eine Sonnenstrahl durch das Prisma 
in viele Farben zerlegt wird, so finden wir die Vollkommenheiten, die 
in Gott allesamt in höchster Einfachheit vereint sind, in den Geschöpfen 
gewissermaßen auseinandergelegt und ausgebreitet. 
Hierzu kommt noch, was das ausschließliche Vorrecht des ewigen 
Werkmeisters ist, daß er seinen Kunstwerken den inneren Trieb zur 
Selbstvervollkommnung eingehaucht hat. Was der Mensch schafft, ist 
stumm und tot; die Kunstwerke Gottes hingegen leben und vervollkomm 
nen sich von innen heraus, sie haben einen angebornen Trieb zu dem 
ihrer Natur entsprechenden Wirken. Dieser Trieb zur Vervollkomm- 
1 Omne agens agit sibi simile (S. Thom. a. a. O. 1. 3, c. 19). 
2 Deshalb sagt der hl. Paulus im Römerbriefe (1, 20): „Das Unsichtbare an 
ihm wird von der Weltschöpfung aus durch das, was geschaffen worden, geistig 
wahrgenommen und angeschaut, nämlich seine ewige Macht und Göttliche 
kett, so daß sie (die Heiden) keine Entschuldigung haben."
	        
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