Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

126 1- Teil 2. Buch. 3. Kap. Von dem Gegenstand der menschlichen Glückseligkeit. 
Die äußeren Güter sind b) unbeständig, hinfällig und lau 
nenhaft. Gerade deshalb heißen sie Glücksgüter (bong, kortunao), 
weil sie fast gar nicht von unserem Willen, sondern von tausend zu 
fälligen Umständen, von Geburt, Umgebung, Wohlwollen anderer u. dgl., 
abhängen. Wie leicht kann jemand — und wäre er der Beste, Edelste — 
in der kürzesten Zeit vom Gipfel irdischer Größe in den tiefsten Abgrund 
des Elends und der Verachtung stürzen! Wie bitter ist dieser Verlust, 
besonders wenn eine ganze Familie davon betroffen wird, — und nie 
mand ist sicher davor. Heute auf dem Kaiserthrone, morgen auf St. 
Helena! Sehr wahr sagt der hl. Bernhardü „Die Reichtümer werden 
mit Mühe und Sorgen besessen, ihre Liebe befleckt, und sie werden mit 
Schmerz verloren." Wie wenigen sind ferner die Glücksgüter zugänglich! 
Wie viele klagen heut über Armut und Not! 
c) Der Besitz der äußeren Güter schließt nicht alle Übel aus 
und vermag das Herz nicht vollkommen zu befriedigen. 
Unser Herz bedarf einer höheren, edleren, unvergänglichen Speise. Trotz 
aller äußeren Glücksgüter kann das Herz leer und unbefriedigt sein, ja 
von Neid, Haß, Mißtrauen, Furcht, Trauer und anderen Leidenschaften 
durchwühlt werden. Mit allen Glücksgütern der Erde läßt sich auch nicht 
ein Quentchen wahren Herzensfriedens erkaufen. Wie oft fehlt es ferner 
beim Überfluß an äußeren Besitztümern an jenen höheren inneren 
Gütern, die allein den wahren Wert des Menschen ausmachen! Oder 
finden sich etwa Tugend, Weisheit, Edelsinn immer im Gefolge der 
äußeren Glücksgüter ein? 
ck) Die äußeren Güter stehen endlich nicht in der Macht eines jeden. 
Nicht jeder kann reich werden, die höchsten Ämter und Würden erlangen, 
sich Ruhm und Ehre erwerben. Es fehlen ihm dazu vielleicht die Talente, 
die Gunst der Menschen, die günstige Gelegenheit oder Gesundheit und 
Kraft. 
2. Das von den äußeren Gütern Gesagte gilt auch fast alles von 
den inneren Gütern des Leibes. Kraft, Gesundheit, Schönheit 
sind den Gütern der Seele untergeordnet, haben also den Charakter 
von M i t t e l n zu höheren Gütern. Die Hinfälligkeit und Vergänglich 
keit derselben zu beweisen, wäre angesichts der täglichen Erfahrung über 
flüssig. Man durchgehe nur einmal das endlose Krankheitsregister in 
einem ärztlichen Handbuch, um sich einen Begriffs von den unzähligen 
Leiden und Gebrechen zu machen, unter denen die Menschheit seufzt. 
Hierzu kommt, daß man alle leiblichen Güter zuweilen der Pflicht zum 
Opfer bringen muß. Man denke nur an den Soldaten im Krieg, an 
1 Epist. 103: Bona quae possessa onerant, amata inquinant, amissa 
cruciant.
	        
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