Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

130 1- Teil. 2. Buch. 3. Kap. Von dem Gegenstand der menschlichen Glückseligkeit. 
durch Anhäufung solcher Güter nicht gehoben werden. Übrigens ist auch 
der Besitz aller irdischen Güter eine Unmöglichkeit. Wer hätte jemals 
alle geschaffenen Güter besessen? Doch nehmen wir an, es gebe einen 
Menschen, dem das Glück alle irdischen Güter in den Schoß geworfen: 
wäre dessen Herz wahrhaft befriedigt und beglückt? Die tägliche Er 
fahrung zeigt, daß mit der Zunahme irdischen Besitzes das unruhige, 
gierige Streben nach größerem Besitz und Genuß nicht abnimmt, son 
dern wächst. Aus dieser Tatsache müssen wir schließen, daß auch der 
gleichzeitige Besitz aller Erdengüter den Menschen nicht vollkommen zu 
beglücken vermöchte. Denn wären sie der eigentliche Gegenstand, in dessen 
Besitz sein Herz volle Befriedigung finden sollte, so müßte mit der Zu 
nahme des Besitzes das Verlangen abnehmen, weil ja immer weniger 
zu verlangen bliebe. 
Doch selbst zugegeben, es fände sich einmal ein bevorzugtes Glücks 
kind, dem alles nach Wunsch erginge, was wäre damit für die große 
Masse der Menschen gewonnen, deren Leben ein beständiger Kampf mit . 
Not, Entbehrung und Leiden ist? Sind nicht auch sie zum vollkommenen 
Glücke bestimmt? 
§ 3. Gott, das unendliche Gut, der notwendige Gegen- 
stand der menschlichen Glückseligkeit. 
Nur in Gott kann der Mensch sein vollkommenes 
Glück finden. 
1. Diese Behauptung ergibt sich als notwendige Folgerung aus un 
sern bisherigen Erörterungen. Es muß einen Gegenstand geben, der den 
Menschen vollkommen zu beglücken vermag. Die geschaffenen Güter sind 
aber nicht imstande, ihm dieses Glück zu bringen. Also kann er nur in 
Gott vollkommen glückselig werden, Gott ist der notwendige Gegenstand 
der menschlichen Glückseligkeit. „Die vernünftige Seele", sagt der hl. 
Bernhard sehr schön, „kann von den Geschöpfen wohl beschäftigt, aber 
nicht gesättigt werdend" 
2. Die Betrachtung der menschlichen Natur führt uns zu demselben 
Schlüsse (S. 117 f.). Wie jede Fähigkeit, so haben Verstand und Wille 
einen angebornen Trieb nach der Vollkommenheit, d. h. nach dem vollen 
Besitz ihres eigentümlichen Gegenstandes. 
Der V e r st a n d strebt seiner Natur gemäß nach der vollkommenen 
Erkenntnis der Wahrheit. Er will die Wahrheit nach dem ganzen Maße 
seiner Fähigkeit besitzen. Nun aber geht die Fähigkeit des Erkennens 
1 8. Bernard, Super Matth. 19, 27: Anima rationalis ceteris omnibus 
occupari potest, repleri non potest.
	        
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