Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

§ 2. Das höchste Gut nach der Lehre der Sozialeudämonisten u. Evolutionisten. 145 
Was soll den Soldaten vermögen, freudig in den Tod zu gehen, wenn der 
Tod die Rückkehr ins Nichts ist? Was soll den Arbeiter bewegen, in allen 
Mühsalen und Beschwerden treuer Pflichterfüllung auszuharren, wenn 
uns aus dem Grabe die Vernichtung entgegengrinst? Was soll überhaupt 
die Menschen bestimmen, in allen Lagen Gerechtigkeit, Nächstenliebe, 
Wahrhaftigkeit, Keuschheit und Mäßigkeit zu üben, ihr eigenes Wohl be 
ständig dem der Gesamtheit unterzuordnen, wenn alle Hoffnung auf ein 
besseres Jenseits eitle Täuschung ist? 
Seien wir doch ehrlich. Ist der Tod die völlige Vernichtung des Men 
schen, dann ist derjenige der Klügste, der es am besten versteht, der weni 
gen ihm beschiedenen Tage in seiner Weise recht froh zu werden. „Die 
Pflicht geböte die Entsagung. Wie töricht! Die Pflicht gebietet den Ge 
nuß. Wir sollen genießen." So ruft Feuerbuch st und vom Stand 
punkt der reinen Diesseitigkeit mit Recht. Kränzen wir uns mit Rosen 
und freuen wir uns jedes Genusses, solange es Zeit ist! Der hl. Paulus 
schreibt: „Habe ich um menschlicher Meinung willen zu Ephesus mit 
wilden Tieren gekämpft, was nützt es mir, wenn die Toten nicht auf 
erstehen? Lasset uns essen und trinken, denn morgen werden wir ster 
ben" (1.Kor. 15,32). Auch der hl. Augustinus bekennt von sich, der 
Gedanke an die Ewigkeit habe wie ein rettender Strahl in den Abgrund 
des Lasters geleuchtet, in dem er sich befand. Als er einst mit seinen 
Freunden A l i p i u s und N e b r i d i u s über das endliche Los der Gu 
ten und Bösen sprach, antwortete er ihnen, er würde in seinem Herzen 
dem Epikur die Palme zuerkannt haben, hätte er nicht an die Un 
sterblichkeit der Seele und an die Vergeltung im Jenseits geglaubt, die 
Epikur leugnete-. 
Jodl steht nicht an, den angeführten Ausspruch des hl. Paulus als 
eine „Beleidigung der Menschheit in ihrem Edelsten" zu bezeichnen, derselbe 
erscheine ihm ebenso widersinnig, als wenn jemand, weil er weiß, daß gute 
Nahrungsmittel seinen Leib nicht in alle Ewigkeit erhalten können, sich lieber 
mit Gift und tödlichen Sachen sättigen wollte, oder weil er sieht, daß die 
Seele nicht ewig und unsterblich ist, lieber verrückt sein und ohne Verstand 
sein wollte". Diese Worte beweisen, daß Jodl den Sinn der Worte des 
Apostels nicht verstanden hat. Unwiderstehlich verlangt das menschliche Herz 
nach Befriedigung. Nun fordert tatsächlich das sittlich geordnete Leben un 
zählige Opfer vom Menschen! vielen Genüssen muß er entsagen, vieles Un 
gemach muß er ertragen, um gut zu leben. Wenn er nun der Überzeugung 
ist, für die auf Erden gebrachten Opfer und erduldeten Entbehrungen gebe es 
keinen Ausgleich im Jenseits, handelt er dann nicht vernünftig, wenn er nach 
Möglichkeit auf Erden glücklich zu werden und alle seine Triebe, so gut es 
1 Feuerbach: WW. II, 393. 
2 Confess. 1. 6, c. 16. 
Cathrein, Moralphtlosophte. I. 6. Aust. 
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