Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

150 1. Teil. 2. Buch. 5. Kapitel. Das Endziel des Erdenlebens. 
genügt hier die Tatsache, daß alle Menschen einen Unterschied machen 
zwischen gut und bös, zwischen einem wohlgeordneten und ungeordneten, 
einem tugendhaften und lasterhaften Lebenswandel. In den konkreten 
Anwendungen dieser allgemeinen Begriffe machen sich große Unterschiede 
geltend, aber alle Völker aller Zonen und Zeiten unterscheiden gut und 
bös, Tugend und Laster; sie loben diejenigen, welche sie für tugendhaft 
halten, und tadeln die Lasterhaften. So scheiden sich bei allen Völkern 
die Menschen in zwei große Klassen: die Guten und Tugendhaften einer 
seits, und die Bösen und Lasterhaften anderseits, mag es auch nicht immer 
klar sein, zu welcher Klasse jeder einzelne gerechnet werden könne \ 
Welche von beiden Lebensarten bildet nun die notwendige Vorberei 
tung auf das Jenseits? Beide so entgegengesetzten Wege können nicht 
zum Ziele führen, sonst müßten wir behaupten, alle Menschen erreichen 
ihre Glückseligkeit, und es sei unmöglich, dieselbe zu verlieren. Wenn 
aber nur der eine von beiden Wegen zum Ziele führt, so kann es nur der 
Weg der Tugend sein. Würde der Allheilige und Allweise sich nicht selbst 
verleugnen, wenn er die Krone des Lebens dem Tugendhaften vorent 
hielte, um sie dem Lasterhaften zu geben, der ihn in diesem Leben miß 
achtet hat? Das bestätigt uns auch die übereinstimmende Ansicht der 
Völker, die immer den Ort ewiger Belohnung als den Anteil der Guten 
und Gerechten ansahen. 
Oder sollte die Vorbereitung auf das ewige Leben in etwas an 
derem bestehen als in der Übung der Tugend? Etwa 
in Macht, Ansehen, Wissenschaft, Reichtum, Gesundheit, Schönheit, gei 
stiger Begabung? Das ist schon deshalb unmöglich, weil der Erwerb 
dieser Güter vielfach nicht in der Macht der Menschen steht. Jeder 
. Mensch soll sich hienieden auf die Ewigkeit vorbereiten. Diese Vorberei 
tung muß also in der Gewalt eines jeden Menschen sein, des ärmsten 
wie des reichsten, des gelehrtesten wie des unwissendsten. Oder ist der 
Arme und Unwissende nicht ebensogut zum ewigen Leben bestimmt als 
der Reiche und Gelehrte? Nun steht aber nur ein Ding zu jeder Zeit 
und überall in der Gewalt jedes Menschen: der gute Wille, die Übung 
der Tugend, der rechtschaffene Lebenswandel. Darin besteht also die Vor 
bereitung auf das ewige Leben, die von jedem Sterblichen gefordert wird. 
2. Alles im ganzen Universum ist wohlgeordnet. Ordnung und Ge 
setzmäßigkeit durchdringen und umfassen alles in der Welt, das Größte 
wie das Kleinste, und vereinigen es zu einem schön gegliederten, har 
monischen Ganzen. Es gibt nichts in der Natur, das nicht seinen be 
stimmten Posten, seine eigentümliche Aufgabe und dementsprechend eine 
1 Eingehend haben wir diese Tatsache nachgewiesen in dem schon erwähnten 
Werke: „Die Einheit des sittlichen Bewußtseins der Menschheit", 3 Bde.
	        
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