Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

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1. Teil. 3. Buch. 1. Kap. Begriff der Sittlichkeit. 
Gütern vorgezogen werden. Wir müssen bereit sein, eher alles Leid über 
uns ergehen zu lassen, als zum Verräter an der Pflicht zu werden. 
Doch nicht in der Ewigkeit erst zeitigt die Tugend ihre Früchte. Schon 
hienieden ist sie in jeder Lebenslage der sicherste und beste Trost. Es kann 
sein, daß alle irdischen Unternehmungen eines Menschen fehlschlagen, 
daß ihn Krankheit, Verfolgung, Unglückssälle jeder Art auf allen Pfaden 
begleiten. Mit sinnlichem Auge betrachtet, war sein Leben wert- und er 
folglos. Aber ihm bleibt der süße Trost: er hat seine Pflicht erfüllt und 
seine höchste und erhabenste Aufgabe gelöst. Deshalb ist auch sein Leben 
weit davon entfernt, wertlos zu sein. Was er in Tränen gesät, wird er 
in Wonne ernten. 
Drittes Buch. 
Don der Norm des sittlich Eulen. 
Wir kennen jetzt die große, von jedem Menschen in diesem Leben zu 
erfüllende Aufgabe. Er soll sich frei Gott unterwerfen durch Einhal 
tung der sittlichen Ordnung und so zu dem beseligenden 
Besitz des unendlichen Gutes im Jenseits gelangen. Aber worin be 
steht die sittliche Ordnung? Was ist sittlich gut und bös, >und 
woran erkennt man es? Das haben wir nun zu untersuchen. 
Erstes Kapitel. 
Begriff der Sittlichkeit. 
§1. Die Sitte. 
Sittlich und Sittlichkeit werden von Sitte abgeleitet. Es 
fragt sich also vor allem, was man unter S i t t e zu verstehen habe. Die 
Sitte gehört zu jenen Grundbegriffen, die klar in jedermanns Bewußt 
sein stehen und erst dunkel werden, wenn man sie untersucht. Zur Klar 
stellung dieses Begriffes müssen wir denselben Weg einschlagen, den 
man bei Erklärung aller derartigen Begriffe einzuhalten hat (S. 7). Wir 
müssen den Sinn erforschen, den allgemein die Menschen mit diesem 
Worte verbinden. Die Sprache ist ja nur der Spiegel der inneren Ge 
danken und Urteile. Was heißt also Sitte? 
Das Wort Sitte wird im Deutschen in einer doppelten Bedeutung 
gebraucht. Im ersten Sinne erscheint Sitte als gleichbedeutend mit Ge 
wohnheit und bezeichnet jede häufige Wiederkehr der 
selben Handlung, die von unserer freien Selb st be 
stimmn ng abhängt. Zur Sitte in diesem Sinne gehört also er-
	        
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