1. Teil. 3. Buch. 2. Kap. Der Moralpositivismus.
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stimmen Karneades* und Pyrrho^ überein. Geradezu zynisch
drückt sich Theodor von Chrene aus. Er lehrt, der Weise ver
schmähe bei passender Gelegenheit Ehebruch, Diebstahl und Gottesraub
nicht; denn diese Dinge seien nicht ihrer Natur nach schlecht, sondern
nur nach der vulgären Meinung, die man aufgebracht habe, um die
Dummen im Zaume zu haltend
Unter den Neueren hat zuerst Montaigne (1533—1592) und
dann besonders T h. H o b b e s den Moralpositivismus vertreten. Aus
gehend vono der aristotelischen Begriffsbestimmung: gut ist, was alle
begehren, kommt Hobbes zum Schluß: das Gute sei nur ein relativer
Begriff. Denn das Urteil über gut und bös hänge von der subjektiven
Auffassung und Anlage des einzelnen ab, dasselbe Ding könne dem
einen gut, dem andern ein Übel sein. Es gibt also keinen von Natur
aus allgemein gültigen Maßstab des Guten und Bösen. Erst die Ge
setze des Staates begründen einen allgemeinen Unterschieds
Nach B. Mandeville ist die Unterscheidung von gut und bös
nur eine Erfindung überlegener Männer, denen es gelang, der
Menge die Überzeugung beizubringen, daß es für jeden gut sei, das
allgemeine Wohl dem eigenen vorzuziehen. Da sie keine wirklichen Be
lohnungen und Strafen erteilen konnten, so erfanden sie eingebildete,
nämlich Ehre und Schande. Auf diese Weise wurden die Menschen nicht
durch Gewalt, sondern durch Schmeichelei für die Tugend gewonnen
Schon vor ihm hatte Saint-Lambert (1717—1803) behauptet,
der Nutzen habe zwar die Menschen instinktiv auf gewisse moralische
Grundsätze geführt, aber erst die öffentliche Meinung habe im
Bunde mit andern gesellschaftlichen Einflüssen denselben Geltung ver
schafft.
Daß die Anhänger des Positivismus von Aug. Comte auch zum
skeptischen Moralpositivismus gehören, bedarf kaum der Erwähnung.
Die Ethik des Positivismus hat besonders Littrö auszubilden versucht.
Littre nimmt zwei ursprüngliche Bedürfnisse im Menschen an: das der
Selbsterhaltung durch die Ernährung und das der Arterhaltung durch die
1 Cicero, De republ. 3, 12, 21: Carneadis summa disputationis haec
fuit, iura sibi homines pro utilitate sanxisse, seil. varia pro moribus et apud
eosdem pro temporibus saepe mutata, ins autem naturale nullum
esse. Unter ius haben wir hier, wie aus dem Zusammenhang erhellt, jedes Ge
setz zu verstehen.
2 D i 0 g e n. Laert. 9, 61 et 101: Ovx äga iarl cpvosi ayadbv rj xaxov.
- Ebd. 2, 98—99.
■' De homine c. 11, 5; Leviathan c. 6; De cive c. 12.
0 So in seinem Werke: The kable ok the bees or private vices, public bene-
fits, London 1814. Vgl. A. B a i n, Mental and moral Science 597.