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Euern Verwandten in. London Mitteilung macht, und der
schöne Plan wäre ins Wasser gefallen.“ So wird uns jetzt
manches diplomatische Rätsel der letzten Jahre aufgeklärt
Wilhelm II sagt weiter: „Die Engländer tun uns Unrecht,
wenn sie meinen, unsere Flotte sei für einen Krieg gegen Eng
land gebaut worden. Wir brauchen die Flotte, wenn einmal
zwischen Japan und China die große Abrechnung bevorsteht.“
Die Schilderung des Kaisers erinnert an eine Anekdote, in der
jemand sagt: „Sehen Sie mal das häßliche Frauenzimmer da
hinten.“ Der andere sagt: „Häßliches Frauenzimmer?! Das
ist meine Frau.“ Und der erste sagt wieder: „Ich habe die
hinten dran gemeint.“ Worauf der andere erwidert: „Die
hinten dran ist meine Schwester.“ Selbstverständlich sind
durch jene Aeußerungen des Kaisers die beiden ostasiatischen
Staaten nicht bloß zum Feind des deutschen Kaisers, sondern
vor allem Feind des deutschen Volkes geworden. Wir haben
große Handelsinteressen in Ostasien, namentlich in Tokio
und Peking, wo man seither die Produkte der deutschen In
dustrie verlangte. Glauben Sie, daß wir auf die Dauer Waren
einem Volke verkaufen können, das weiß, daß unsere Flotte
zum Kampfe gegen es gerüstet wird? Der Kaiser hat diese
ernste, naheliegende Frage gar nicht erkannt. Er hat es fertig
gebracht, eine ganze Reihe großer Mächte vor den Kopf zu
stoßen: England, Rußland, Frankreich, Japan, China, Holland
und nicht zum letzten auch das eigene deutsche Volk. •— Wird
sich das deutsche Volk diesen Zustand auf die Dauer gefallen
lassen, daß die Launen eines einzelnen über Krieg und Frieden,
über das Schicksal von 60 Millionen zu entscheiden haben?
Es ist uns zu Mute, wie dem Reiter am Bodensee, wir sehen
jetzt erst, welche schwere Gefahren in den letzten zwei
Jahrzehnten hinter uns liegen. Ist es nicht ein unerhörtes
Glück, daß durch die verschiedenen internationalen „Liebens
würdigkeiten“ des deutschen Kaisers bisher noch kein euro
päischer Brand entstanden ist? Hätte es uns nicht passieren
können, daß wir eines Morgens aufgestanden wären und hätten
eine Kriegserklärung aller europäischen Staaten vor uns liegen
gehabt? In einem kleinen Bauernstaate ist es wohl möglich,
daß ein einzelner Mann die Geschicke bestimmt, aber Deutsch
land ist eben heute kein Agrarstaat mehr, es ist ein kapital
istischer Handelsstaat geworden, wo tausenderlei verwickelte
Interessen von Handel und Industrie, wo tausende sich ent
gegenstehende Klassenwünsche zu regeln und zu ordnen sind.