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derisch nachzusagen, sie seien „vaterlandslos“. In ihren Augen
gilt nur derjenige als „national“, der den Kaiser hochleben
läßt. Sie schwärmen für die Kriege der Vergangenheit und
der Zukunft und möchten am liebsten das ganze Volksver
mögen in Kanonen, Kasernen und Panzerschiffen anlegen.
Sehr verdächtig ist dabei, daß die großen Herren das Geld,
das für Heer und Flotte gebraucht wird, nicht aus ihrer
eigenen Tasche bezahlen, sondern durch indirekte Steuern
von den unbemittelten Klassen aufbringen lassen, denen sie
dann zum Dank „vaterlandslose Gesinnung“ vorwerfen. Die
Nation wird in Wahrheit nicht von den paar Fürsten mit
ihren Höflingen gebildet, sondern von den Massen der Ar
beiter und Bauern, die in Krieg und Frieden für das Reich
Blut und Schweiß opfern müssen. Wer diesen wahren Trägern
und Stützen des Vaterlandes die Heimat liebenswert macht,
der handelt national. Wer weniger Kasernen, aber mehr Schul
häuser verlangt, der handelt national.
Wer vom Staat an Stelle von Festungen gesunde, luftige
Arbeiterwohnungen verlangt, der handelt national.
Wer statt der Erhöhung von Königsgehältern Pensionen
für die Veteranen der Arbeit fordert, der handelt national.
Wer die Staats lasten durch Erbschaftssteuern und Ver
mögenssteuern den tragfähigen Reichen aufzulegen strebt,
handelt national.
Wer die Kriegshetzer bekämpft und den Frieden mit
fremden Völkern fördert, handelt national.
In diesem Sinne ist die Sozialdemokratische Partei die
nationale Vertretung der unterdrückten Mehrheit gegen die
herrschende Minderheit.
110 Sozialdemokraten!
Im Reichstag
15. Februar 1912
. . . Die Reichstagswahlen waren eine große Demon
stration des Volkes gegen die Ausdehnung der indirekten
Steuern, und wenn sich die Regierung auf Popularität ver
stünde — es ist das ja das schlimmste, was man ihr nach
sagen könnte —dann hätte sie uns hier mit einer kleinen
Finanzreformvorlage empfangen, mit einer Vorlage, in der
gestanden hätte, daß vielleicht die Zuckersteuer, die Fahr
kartensteuer, die Streichholzsteuer abgeschafft und der Aus