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In moralischer Beziehung ging es mir ähnlich, aber anch hier mel
dete sich frühzeitig das Selbftverantwortlichkeitsgefühl. Wenn ich mit mir
unzufrieden war, ging ich vor die Stadt, machte mit dem Absah einen
festen Strich in den Sand und trat strammen Schrittes Hinüber mit dom
frommen Gelöbnis: Nun will ich mich bessern! Ich bin nun über den
Lebensmittag gekommen, aber meine Chausseestriche mache ich noch immer.
Sie ersetzen mir voll die überirdischen Gebete der Vergangenheit.
Vorn Staatenstreit zum Völkerfrieden.
Liebe nicht Dein Vaterland den andern Vaterländern zum Trotze
sondern liebe in ihm die Menschheit. Heimat ist ein erinnerungs
reiches Wort, Vaterland hat klangvollen Sinn, aber Mensch
heit ist das wahre Heiligtum.
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Die sogenannten vaterlandslosen Gesellen lieben ihr Vaterland mehr
als diejenigen, die oft aus Selbstsucht die einzig echte Vaterlandsliebe
in Erbpacht genommen haben. Jene möchten gern, daß ihr Vaterland das
erste sei, in welchem der Hunger abgeschafft ist, sie möchten, daß das Volk,,
frei von verheerenden Krankheiten, sich zu Gesundheit und Kraft ent
wickele, und sie wünschen, baß ihr Vaterland allen Ländern der Erde vor
anschreite an Vernunft, Gesittung und wahrer Menschenliebe.
Die offiziellen Patrioten gleichen mehr Kaufleuten, die nicht aus,,
sondern mit Patriotismus handeln. Beweis: Die steifnackigen, be
dingt königstreuen Agrarier auf Kündigung und die Staatskrippenmän
ner, die rückgratlos ihr Vaterland lieben, damit es sie wieder liebe.
*
Still, dumm, nicht zu eßgierig und die Hände stramm an die Hosen
naht: Das ist die Stimmung, in der mancher singt: „Ich bin ein
Preuße." — Jedes Volk verdient das Schicksal, welches es erduldet,
und jedes freiheitliebende Volk schmiedet sich selber Gegenwart und Zu
kunft.
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Die S a l a d i n, K a r l, N a p o l e o n, W i l h c l m „der Große",
wie die offizielle Geschichte sie zeigt, reizen gar sehr zur Kritik. Der Mo
hammedaner sieht sie anders wie der Christ, der knieschwachc Hofschranze
anders als der unbefangene Volksfreund. Friedrich Wilhelm in.
bückt sich knechtselig vor Napoleon, aber stolz und hochmütig versagt
er dem eigenen Volke die Erfüllung seiner Versprechungen, demselben
Volke, das seinen schwankenden Thron mit Gut und Blut wiederum in die
Richte gebracht hatte. Aber auf dem Denkmal im Lustgarten, da macht die
Muse der Geschichte hinter dem Worte „dem Gerechten" einen Punkt.
So machen strebsame Historiker, Denker, Dichter, Reserveleutnants und
Bildhauer Punkte, Ausrufungszeichen und Fragezeichen auf allerhöch
sten Befehl. Sie formen Buckel, Fettwämste, Gardefiguren und feudale
Beine auf Bestellung. Die Muse der wahren Geschichtsforschung steht mit
verhülltem Haupte daneben, schweigt und wartet auf freiere Zeiten.
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Wenn einem Volke zu lange etwas vorgelogen wird, so glaubt es
schließlich daran. Oft erwacht es zu spät aus seiner Betäuhung und mutz
dann mit teurem Blute die Zeche zahlen für seine Leichtgläubigkeit. So
kam im Jahre 1806—07 jener große Katzenjammer. Die Ernüchterungs
heringe aber waren mit den Lorbeerblättern garniert aus des zweiten
Friedrichs Zeiten, jenen Lorbeeren, auf denen die preußischen Offi
ziere so blasiert auszuruhen gedachten.