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müssen wir einsehen, daß wir nur ein kleines Staubkörnchen im Weltall
sind, und daß doch auch in uns ein Geist lebt, mit dem wir die ganze Welt
umfassen können.
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Im ersten Kolleg schrieb ich in mein Heft: „Man kann hundert
Kollegia als Student der Philosophie hören, ohne Lebensweiser zu werden.
Die beste Lehranstalt ist die Fakultät des Lebens, und ihre Professoren
heißen Arbeit und E r f a h r u n g." Und noch immer zahle ich Lehr
gelder an diese beiden Professoren, wie einst im ersten Semester.
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Ein exzellenter Gelehrter sollte sich nie zur Exzellenz herabniedrigen
lassen. Solches unangebrachte Einrangieren in fremde Zonen sieht eher
einer Erniedrigung als einer Erhöhung ähnlich.
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Lichtbringen und Schlägebekommen ist Menschenregel seit Prome
theus Zeiten. Wie die Geier des Buchstabenglaubens seine Leber zer
fleischten, so zehren Glaubenswut und Unduldsamkeit noch immer am
Lebensmarke manches Denkers und Freiheitsverkünders. — Nicht jeder
kann wie Prometheus die ganze Welt erleuchten, aber jeder kann von
dem heiligen Feuer eine Flamme weitertragen. Wer nicht mit dem
elektrischen Lichte der Begeisterungsfähigkeit in tausende von Herzen
dringen kann, der nehme eine einfache Petroleumlampe oder eine schlichte
Wachskerze. Und bei wem es nicht dazu reicht, der kann auch mit dem
bescheidenen Oelstümpfchen einem einsamen Meuscheukinde die Nacht er
hellen. Dieses geistige Erleuchten ist das würdigste und schönste Geschenk
der Menschenliebe. Oder hätte Prometheus das Feuer nicht bringen
sollen, weil einmal ein unvorsichtiges Kind mit Zündhölzern spielen und
vielleicht Unheil anstiften könnte?
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Wahrheit:
Die Wahrheit flickt und modelt nicht, sie erkennt mutig und schreitet
furchtlos einher. Die Sophistik grübelt und erwägt, sie denkt ängstlich
vorbei und macht blendende Kunstsprünge. Sicher überwindet die Wahr
heit alle Hindernisse, während die Sophistik über die kleinste Wegschwie
rigkeit stolpert. Dort feste Grundlagen, hier schwankende Scheingründe.
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Wahrheit bleibt Wahrheit, auch im schmutzigen Gefäße des Feindes-
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Es gibt nur eine Wahrheit. Sie ist dieselbe in Hütten und Thron
sälen. Gefährlicher ist es dem Volke zu schmeicheln, als den Großen
der Erde. Das Volk muß den Sauerstoff der Wahrheit einatmen, ihm
verdirbt der Nebel der Schmeichelei die Lunge und den Blutkreislauf.
Für das Geschäftsunkosten-Konto der Thronbesitzer ist Wort-Weihrauch
ein täglicher Gebrauchs-Posten. Das freie Volk gönnt den verschiedent-
lichen gekrönten Berufskollegen diese eitle Vergnügungssteuer.
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Die sogenannten gefährlichen Wahrheiten von heute sind die selbst
verständlichen Wahrheiten von morgen. Sie sind für den ersten Besitzer
Schmerzensbringer und Beseliger zugleich, und sie sind die wahren Kul
turträger. So sind auch der Zweifel und der Unglaube von heute oft
das anerkannte Weltgesetz von morgen.
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„Irre ich, so irre ich m i r," sagte Hiob. Aber die Wahrheit sagt:
„Irre ich, so irre ich der ganzen M e n s ch h e i t." Denn Irrtum ist der
dolus eventualis (fahrlässige Verletzung) der Wahrheit, der immer neue
und verhängnisvolle Irrtümer und Trugschlüsse nach sich ziehen muß.
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