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Noch in der Philosophie. Daher hat die von der Welt-
Weisheit aufgeklarte Vernunft hier eben so wenig zn spre
chenob sie schon des Rechtes sich anmaßt, zn entscheiden,
was dem ehrlichen Manne gut anstehe zu glauben oder
nicht zu glauben.
Diese stolze Gebieterinn findet zwar einerseits in der
Schrift viele erhabene, und ihres Beyfalls vollkommen wür
dige Dinge, aber auch andrerseits viele niedrige und unge
reimte, wovon sie sich beleidigt halt. Sie möchte also eine
Absonderung machen. Weg mit allen de» Ungereimtheiten,
die Dummheit und Aberglaube in die Religion eingeführt
haben! und einmal für allemal sollen die Punkte festgesetzt
werden, die zu allen Zeiten den Glauben eines jeden ver
nünftigen Menschen verdiene. Aber die Vollziehung über
gebe man nicht den Vorurtheilen, sondern dem guten Ge
schmacke, dem gesunden Menschenverstände, der Evidenz.
Diese Schiedsrichter sollen die Gränzen deö allgemeinen
Glaubens bestimmen.
Vortreffliche Gesinnungen! Worauf zielen sie? Aufdie na
türlichen allein, oder auch auf die übernatürlichen Wahr
heiten der Religion? — Jenes? Wohin alsdann mit den
göttlichen Geheimmnissen? — Dieses? O! wer bist du, ge
schaffene und eingeschränkte Vernunft! daß du dich erkühnest,
das vor deinem Richrerstuhl zu ziehen, was unter der Ge
richtsbarkeit der unerschaffenen und unbegranzten Vernunft
steht? Du blinde Richterinn der Farben!
Auf die Vornrkheile zu schmähen ist ein leichtes Ding,
und nur gar zu oft thun eö die, welche am meisten damit
verstrickt sind, so wie auch den guten Geschmack, den ge
sunden Menschenverstand, die Evidenz manchmal am be
redsamsten herausstreichen, die davon mehr nicht als den
Namen kennen.
Und wie zweydeutig werden die Wörter in verschiede
nen Munden nicht? Eine ,ede Parthey, wenn sie gleich
allen andern widerspricht, rühmet sich den guten Geschmack,
den gesunden Menschenverstand, die Evidenz auf ihrer Seite
zu haben. Die Anhänger derselben Parthey streiten mit
einander, und ein jeder beruft sich ans diese Hülfsmittel»